Thomas Wörtche lobt in einer Besprechung dieses Romans (in der Wochenzeitung FREITAG) die einleitende Sequenz des Buches, und hat völlig Recht damit: Simenon beschreibt, wie der Kaffeekoch eines vornehmen Restaurants morgens aufsteht, geweckt von seiner Freundin, die von ihrer eigenen Schicht zurückkehrt. Er trinkt einen Kaffee, schnappt sich sein Fahrrad und radelt zum Hotel. Dabei platzt ihm ein Reifen, er muss das letzte Stück schieben und kommt eine Viertelstunde zu spät. Aus diesen auf den ersten Blick so unscheinbaren fünfzehn Minuten leitet Simenon die gesamten Ereignisse seines Krimis ab. Denn ungefähr zu diesem Zeitpunkt ist ein Mord geschehen, und Prosper Donge hatte nicht nur Gelegenheit, sondern auch ein Motiv und alles deutet auf ihn -- nur Maigret verlässt sich eher auf seine Menschenkenntnis und bezweifelt die Folgerungen, die der Untersuchungsrichter aus den Indizien zieht. Zweierlei fällt an diesem Roman auf: Einmal die Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, mit der Maigret -- soweit er es sich irgend leisten kann -- sich über alle gesellschaftlichen Normen und Erwartungen hinwegsetzt; keinesfalls aus Trotz oder gar aus Provokation: er weiß einfach, wie weit er gehen kann, testet stets diese Grenzen und hat schlicht keine Lust, sich von den Vorstellungen Anderer leiten zu lassen. Irgendwie beneidenswert und von Simenon mit ruhiger Hand erzählt. Desweiteren ist es ein Genuss, sich in die Beschreibung des Hotels fallen zu lassen; in die minutiöse Darstellung der alltäglichen Abläufe, das Treiben und Getriebe; die glänzende Oberfläche und die alltägliche, verschwitzte Welt darunter. Maigrets ziellose Gänge durch die Kellerfluchten und engen Treppen schaffen mit wenigen Sätzen eine dichte, spürbare Atmosphäre, die es uns möglich macht, den Ereignissen des Romans nicht nur unsere gespannte Aufmerksamkeit, sondern auch unseren Glauben und unsere Anteilnahme zu schenken. "Ein Musterbeispiel für einen perfekten Maigret", urteilte einst die Londoner SUNDAY TIMES. Und Thomas Wörtche -- schon zu Anfang zitiert -- empfiehlt diesen Roman vielen KrimiautorInnen der Gegenwart, denen es vergleichsweise an Talent und handwerklicher Souveränität fehlt: Schaut dem Meister auf die Finger bzw. in die Seiten: so wird's gemacht... --Hannes Riffel Quelle:
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