Die Homeobox ist gleichsam das genetische Betriebssystem, auf dem Mensch und Wurm gleichermaßen basieren. Diese Sequenz von Basenpaaren findet sich bei Insekten, anderen Gliederfüßern und Ringelwürmern -- und dem Homo sapiens. Sie stehen im Zusammenhang mit der embryonalen Entwicklung und bestimmen bei Insekten beispielsweise die Ausbildung der Körperpole und die Entwicklung der Körpersegmente. Die Wirkung dieser kleinen Abschnitte, die auch in unserer Erbsubstanz -- ähnlich wie Mastervariablen -- die Funktion unzähliger anderer Gene steuern, zeigt sich am ehesten, wenn sie mutieren. Walter Gehring, der die Homeobox mit seinen Kollegen Anfang der 80er-Jahre entdeckte, zeigt dies anschaulich, indem er von einer Dienstreise nach Japan berichtet. Dort, im Tempel des großen Buddha von Nara stieß er auf Skulpturen achtbeiniger Schmetterlinge, in denen er keineswegs eine Laune des Künstlers sah, sondern die Abbildung homeotischer Mutation -- was übrigens in japanischen Zeitungen zu einiger Aufregung führte. Nicht der Schmetterling, sondern der Genforscher liebstes Objekt, die Taufliege war es schließlich, die im Labor die skurrilsten Abnormitäten entwickelte und auf diese Weise die Geschichte der Homeobox begründete. Ihr zu folgen ist Grundlage dieses bemerkenswerten Buches, welches eine eigentümliche und höchst lesenswerte Mischung aus Fachbuch und Forscher-Biografie ist. Nirgendwo wird man sich besser über die Mechanismen und Prinzipien der Entwicklungsbiologie informieren können, während zu gleicher Zeit auch aufschlussreiche Einblicke in den Forscheralltag gewährt werden. In amüsanter Weise schildert Gehring nicht nur den harten Weg wissenschaftlichen Fortschritts, sondern auch den Kampf um Anerkennung. Und in seinen bisweilen süffisanten und scharfen Bemerkungen zeigen sich die für die Forschung so typischen Eitelkeiten -- und zwar nicht nur die der anderen. --J. Schüring Quelle:
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