Wer auf den neuen Roman von Jonathan Franzen wartet, muss sich noch etwas gedulden. Strong Motion wurde nämlich in den USA bereits 1992 veröffentlicht und war -- nach Die 27ste Stadt -- Franzens zweiter Roman. Dass nach dem überwältigenden Erfolg der Korrekturen nun auch die früheren Werke ins Deutsche übersetzt werden, ist aus Verlagssicht ebenso verständlich wie für die Leser interessant. Denn hier kann man im Rückblick die schriftstellerische Entwicklung des gefeierten Amerikaners beobachten -- die Ansätze von sprachlicher Brillanz und das große Erzähltalent ebenso wie die noch vorhandenen Schwächen. Was Franzen jedenfalls damals schon konnte, ist, den Leser über fast 700 Seiten gefesselt zu halten und für seine Charaktere zu interessieren. Handlungsgerüst und Grundkonstellation allerdings wirken arg konstruiert, die Symbolik -- das Beben der Erde spiegelt die persönlichen und gesellschaftlichen Erschütterungen -- zu aufgesetzt. Im Mittelpunkt der fassettenreichen Handlung steht die Familie Holland, „in der man selten die Kraft hatte, an einem anderen Leben als dem eigenen Interesse zu zeigen oder auch nur vorzutäuschen“. Bei leichten Erdstößen in Massachusetts ist ausgerechnet Louis Hollands Stiefgroßmutter das einzige Todesopfer. Seine Mutter dagegen erbt dadurch ein millionenschweres Aktienpaket eines Chemiekonzerns. Die Erdbeben gehen weiter und der 23-jährige Louis lernt zufällig die Seismologin Renée kennen, die wiederum den Konzern verdächtigt, durch das Einpumpen giftiger Rückstände in ein kilometertiefes Bohrloch die Beben auszulösen. Louis verliebt sich in die sieben Jahre ältere Renée und zerstreitet sich mit seiner Mutter ob des unerwarteten Geldsegens, auch weil diese seine Schwester bevorzugt. Schweres Beben ist Familiendrama -- mit den für Franzen typischen tragikomischen Zügen --, aber auch Umweltkrimi und Gesellschaftsroman mit ziemlich deutlicher Kritik, ebenso am Kapitalismus wie etwa an fundamentalistischen Abtreibungsgegnern oder den Medien. Aber am beeindruckendsten an diesem Werk ist vielleicht die Liebesgeschichte zwischen den zwei Außenseitern Louis und Renée, die dem Roman nach vielen Irrungen und Wendungen sogar ein versöhnliches Ende beschert. Mit den unvergesslichen Lamberts aus den Korrekturen können die Hollands zwar nicht mithalten. Aber die Wartezeit auf den wirklich neuen Roman von Jonathan Franzen kann Schweres Beben doch recht vorzüglich verkürzen. --Christian Stahl Quelle:
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