Justyna, möchte man rufen, Kind, wo rennst du denn hin. Was soll denn das mit dieser diffusen Sehnsucht, die dann doch ganz schnell wieder in Uraltklischees mündet. 1979 -- du bist gerade sechzehn und willst dich schon umbringen. So beginnt dein Jahrbuch. Ein wenig deutlicher hättest du schon schreiben können! Ein Jahr später dann Schule geschmissen, gejobbt und ab nach Montego Bay, Jamaica, dem Nr. Eins-Ziel aller Sehn- und Sexsüchtigen. Dort, in der "Dunkelheit der Nächte", warten die Jungs mit den Dreadlocks ja angeblich nur auf europäische Girls wie dich. In deinem Fall Dervall und Rohan. Dope. Sex, das ganze Brimborium eben. "Ungestillte Lebensgier" nennen sie sowas im Klappentext. Absturz vorprogrammiert. Wie riet dir doch deine jamaikanische Freundin Georgia: "Du musst noch viel lernen". Justyna, hättest du nur auf sie gehört! Aber nein, zurück im "kalten Licht der westlichen Städte" taumelst du wahllos von einem Bett ins andere, von einer vollgekotzten Toilette in die nächste. "Harte Schnitte", eben. Dein Gefühlsbarometer steht beständig auf Sturm, ein Sturm im Wasserglas allerdings, der keinerlei klärende Kraft besitzt. Von deinem Werdegang erfährt man nur so viel: Mutter nervt, Vater machte sich aus dem Staub, starb und hat dir etwas Geld vermacht. Bisschen dürftig, findest du nicht? Dein Freundeskreis, der sich aus Swingerclubexistenzen, Fixern, Türstehertypen und dubiosen Galeristen zusammensetzt -- alles fahle, gesichtslose Figuren ohne Hintergrund. Justyna, warum kriegst du den Mund einfach nicht auf? Man kennt das Prinzip inzwischen. Eine kalte, lebensunwerte Welt, entkernt von allem erzählerischen Schnickschnack, darin umherirrende Seelen, reduziert auf die Suche nach ewigem Kick und Lustgewinn, hart an der Grenze zur Selbstauslöschung ("ein Frauenleben unserer Tage, ehrlich und unverstellt"). So will dich deine Autorin, die ihre eigene Geschichte bis ins Detail dir übergestülpt hat. Dazu aber braucht es eine große, radikale Sprache und die besitzt sie (diesmal) leider nicht. Leidenschaftslos und sprachdürftig werden deine "Höhepunkte" Jahr für Jahr abgehakt. Justyna, du kannst einem schon Leid tun. Irgendwie -- man hat es kaum mitbekommen --, wirst du zur Fotografin, hast eine Familie, lebst in Kapstadt -- doch der Leser hat längst weggezappt. Zu viele "harte Schnitte", vermutlich. --Ravi Unger Quelle:
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