Es ist der Alptraum eines jeden Politikers, einer jeden Partei: da ist Wahl und keiner geht hin, schlimmer noch, die Wenigen, die kommen, geben unausgefĂŒllte Stimmzettel ab. Und bei der Wahlwiederholung sind zwei Drittel aller Stimmzettel âleer und weiĂâ. Ein politisches Desaster, das âsich wie eine ihre ZĂŒndschnur suchende Bombe durchs Land zieht.â Der portugiesische Literatur-NobelpreistrĂ€ger JosĂ© Saramago bot schon in frĂŒheren BĂŒchern einen auffĂ€lligen Gegensatz: so wie er lebt, schreibt er, ruhig, fast still, gedĂ€mpft, vermeintlich gleichmĂŒtig. Aber das, was er schreibt bewegt und erschĂŒttert wie ein alles mit sich reiĂendes Beben, da wird eine politische Science-Fiktion-Geschichte auf fast 400 Seiten zu einer immer stĂ€rker, öfter und eindringlicher an reale Gegebenheiten erinnernden Parabel, bitter-böse, pessimistisch und nicht gerade Hoffnung machend. Die Regierung, unfĂ€higer denn je, steht mit dem RĂŒcken zur Wand, Spitzel werden ausgeschickt. âDas Wort wird aufgenommen und ebenso das GefĂŒhl. Niemand ist mehr sicher.â Mit Verhaftungen, Gewalt, und Folter will man die Ursachen fĂŒr die alle Parteien gleichermaĂen betreffende Wahlschlappe herausfinden. Terror Ă€hnliche Machenschaften durchlöchern langsam aber stetig die saubere, als so demokratisch gerĂŒhmte OberflĂ€che. Attentate, auffahrende Panzer, Demonstrationen verunsichern und destabilisieren das bis dahin so sicher geglaubte Leben. Es gibt Tote. Ein Kommissar soll die Schuldigen fĂŒr das Versagen des Systems finden. Und da gibt es denn auch schon jemanden, der in Frage kommt, bekannt aus Saramagos beeindruckendem Roman Die Stadt der Blinden. Ein Buch, das kein Muss ist, um den neuen Roman ĂŒber die Zerbrechlichkeit demokratischen Zusammenlebens, ĂŒber Hochmut und Macht zu verstehen und auĂerordentlich wertzuschĂ€tzen, aber ein ebenso geniales Buch, dessen LektĂŒre man auf jeden Fall nachholen sollte! Zugegeben, ein Saramogo liest sich nicht ganz leicht, endlos scheinende SĂ€tze, oft eher konstruiert denn gedacht, mag man denken. Aber: man liest sich sozusagen in den Fluss ein. Und das geht so schnell, als wĂŒrde man mitgerissen von einem langsam flieĂenden Lavastrom, aus dem es einfach kein Entrinnen mehr gibt. Saramago verstrickt den Leser in immer tiefere Nachdenklichkeit, Zweifel kommen auf, Fragen, Erkenntnisse. Mit Lösungen wird die LektĂŒre nicht versĂŒĂt, vielmehr bleiben kritische Betrachtung und Wachsamkeit. Aber: was kann es fĂŒr mĂŒndige StaatsbĂŒrger besseres geben? --Barbara Wegmann Quelle:
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