In einem Dorf in der Dominikanischen Republik der 30er Jahre ertönt der Schrei einer Frau, die in den Wehen liegt, wie ein Schuss, der über die gesamte Insel Hispaniola zu hören ist. Jedes Detail der Geburtsszene -- das Machtverhältnis zwischen der Señora und ihrem haitianischen Dienstmädchen, die Hautfarbe der Neugeborenen und nicht zuletzt, welches Kind überleben wird -- hallt durch Edwidge Danticats Die süße Saat der Tränen. Die unerwartete Zwillingsgeburt soll jedoch keine Verherrlichung der Fruchtbarkeit sein; vielmehr nimmt sie die Gestalt einer Metapher auf den von den Militärs gestützten Massenmord an haitianischen Einwanderern an. Wie der Arzt der Señora es ausdrückt: "Viele von uns beginnen ihr Leben im Mutterleib als Zwillinge und bringen den anderen um." Aber Edwidge Danticats starker zweiter Roman ist keineswegs eine weitere Saga der Unterdrückten, die zur Zeit in Mode sind. Er kann sich jederzeit neben so modernen Klassikern wie Hundert Jahre Einsamkeit und Die Farbe Lila behaupten. Die wachsame Erzählerin, das schüchterne haitianische Dienstmädchen der Señora, beschreibt sich als "einer dieser Steine im Meer, der seine Farben in sich hineinsaugt und seine Durchsichtigkeit verliert, sobald er aus dem Wasser herausgenommen und in die Sonne gelegt wird." Amabelle Désir, eine scharfe Beobachterin des menschlichen Charakters, dient als Sprachrohr für den scharfzüngigen, poetischen Erzählstil der Autorin. Ihr Geliebter Sebastien hat "Arme so kräftig wie einer meiner nackten Oberschenkel", während der Ehemann der Señora, ein am Unrecht beteiligter Offizier, "sogar in seinen Militärstiefeln immer noch kleiner als der Durchschnittsmann" ist. Das Waisenkind Amabelle nimmt schließlich geradezu messianische Ausmaße an, sie ist aber frei erfunden, wie auch das Dorf Alegrìa, in dem die Geschichte ihren Anfang nimmt. Die von der Armee des dominikanischen Präsidenten Rafael Trujillo 1937 begangenen Greueltaten und der Exodus sind jedoch eine Tatsache, und sie können sich mit denen der Tonton Macoute des haitianischen Präsidenten Duvalier messen. Die Geschichtsschreibung reflektiert Trujillos Blutbad weitaus weniger sichtbar als Duvaliers, was jedoch nicht bedeutet, dass es deshalb auch weniger schmerzhaft war. Wie Amabelles Vater ihr einmal sagte: "Das Elend wird Dich niemals behutsam anpacken. Es hinterlässt immer seine Daumenabdrücke; manchmal so, dass sie jeder sieht und manchmal so, dass niemand außer Dir von ihnen weiß." Dank dieses herausragenden Romans von Edwidge Danticat wird die Welt nun aber davon erfahren. --John Lenihan Quelle:
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