Die Verfasserin der Liebesbriefe, die in Deine John als Auswahl vorliegen, ist keine Unbekannte. In The Well of Loneliness (dt. Der Quell der Einsamkeit) wagte Radclyffe Hall, lesbische Liebe offen zum zentralen Thema eines Romans zu machen, der dafür prompt auf dem Index landete. Trotz des Verbots in ihrer englischen Heimat blieb der Skandaltext als Lizenzausgabe seit 1928 durchgehend in Druck, so dass er heute zu einem der meistgelesenen Texte überhaupt zählt. Deine John bietet nun authentische Einblicke in die Lebenswirklichkeit dieser mutigen Vorzeige-Lesbe. 20 Briefe, die sie über einen Zeitraum von fünf Jahren an ihre junge Geliebte Evguenia Souline schrieb, zeigen eine leidenschaftlich liebende, aber auch besitzergreifende und dominante Radclyffe Hall. Die scheut sich nicht, ihre Geliebte zu bevormunden und finanziell von sich abhängig zu machen, ist ihr aber auch selbst verfallen. Abgesehen davon, dass sich die Lektüre derart privater Dokumente fast immer als aufregend delikate Angelegenheit erweist, wird die vorliegende Briefsammlung durch ein informatives Vorwort spannend. Radclyffe Halls Liebesbriefe sind nicht nur als Zeitdokumente interessant. Auch die Tatsache, dass sie ein lesbisches Verhältnis schildern, ist nicht allein bedeutsam. Diese Briefe sind vielmehr der beeindruckende Beleg von Betrug, Selbstzerstörung, aber auch Verantwortung und dem quälenden Ringen mit der Unerfüllbarkeit des gesellschaftlich auferlegten Gebotes "Monogamie". Evguenia Souline war nicht die einzige Geliebte Halls. 18 Jahre lang hatte diese schon in einer eheähnlichen Beziehung mit Una Troubridge gelebt, als die Frauen in ein dramatisches Dreiecksverhaltnis geraten, das bis zu ihrem Tode dauern sollte. Erst vor diesem Hintergrund erhalten die Liebesschwüre, die Ängste und Hoffnungen der Briefeschreiberin ihre Wirkung. Zwischen den Zeilen stehen auch die verletzten Gefühle ihrer langjährigen Partnerin und sie sind es, die noch lange nach dem Lesen des kurzen Büchleins nachklingen. --Verena Laschinger Quelle:
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