Was Leo Kirch das Genick gebrochen hat, war seine vollkommen falsche Strategie, das Bezahlfernsehen in Deutschland zu etablieren. Statt seinen Kunden etwas anzubieten, das -- in der Sprache der Marketing-Experten -- einen "Mehrwert" darstellt, versuchte er, ihnen die gleichen Inhalte noch einmal zu verkaufen, die sie im werbefinanzierten Free TV -- also beispielsweise auch auf Kirch-Kanälen wie Pro 7 und Kabel 1 -- kostenlos haben können. "Der große Visionär der deutschen Fernsehgeschichte", der, wie nicht einmal seine schärfsten Gegner bestreiten‚ seiner Zeit immer um zehn bis fünfzehn Jahre voraus war, "will einfach nicht einsehen, dass er sich diesmal geirrt hat." Standen Ende der 1950er-Jahre nur fünf Mitarbeiter auf der Gehaltsliste des Filmhändlers Leo Kirch, sind es Mitte der 60er-Jahre schon zwei Dutzend, und weitere zehn Jahre später bereits 400 Angestellte. Aus dem Film-Spezialisten von einst ist ein Medien-Tycoon geworden. Doch wer ist dieser große Unbekannte, der über Jahrzehnte hinweg so gut wie nie in Erscheinung trat und sich im Verborgenen ein Milliarden-Imperium aufbaute? Dieser Frage geht Thomas Clark in seiner Kirch-Biografie Der Filmpate nach. Von den bescheidenen Anfängen als fränkischer Weinbauernsohn bis zum endgültigen Aus im April 2002 rekonstruiert der Medienredakteur der Financial Times Deutschland Aufstieg und Fall des Leo Kirch. Dabei entsteht das vielschichtige Bild eines Patriarchen, der einerseits unbedingte Loyalität erwartete, andererseits loyale Mitarbeiter nie fallen ließ -- auch wenn es seinen Interessen schadete. Clark ist stets um Unvoreingenommenheit und Fairness bemüht und widersteht allen Versuchungen, diesen wohl geheimnisvollsten aller deutschen Medienmagnaten zu dämonisieren -- wie die Medien es mit öffentlichkeitsscheuen Menschen von Kirchs Kaliber gerne tun. Diese Dämonisierung habe Kirch irgendwie auch genutzt, zitiert der Autor den alten Medienhasen Wolfgang Clement. "Er hat damit gespielt. Sie hat ihm erst geschadet, als alle Dämme gebrochen waren." Trotz aller sorgfältigen Recherche, trotz hunderter Gespräche mit engsten Vertrauten und ehemaligen Weggefährten Kirchs gelingt es freilich auch Clark nicht, herauszufinden, was "LK" im Innersten antreibt: Denn mit seinem "Untersuchungsgegenstand" durfte der Autor bis zuletzt nicht sprechen. "Der Filmpate", schließt Clark deshalb, "wird seine Gefühle wohl mit ins Grab nehmen." Und Berlusconi, Murdoch, Malone und Co. warten gierig darauf, Leo Kirch zu beerben. Und Kirch: Er bastelt, wie man hört, bereits wieder an neuen Visionen. Fazit: Eine spannende, lehrreiche Lektüre, aus der man viel Hintergründiges aus dem Mediengeschäft erfährt. Ein Register, eine Zeittafel und ein Organigramm des verschachtelten Kirch-Imperiums ergänzen die lesenswerte Biografie. --Axel Henrici Quelle:
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