"Männer wollen vor allem vögeln. Die Verführung interessiert nur ein paar Typen, die kein wirklich aufregendes Berufsleben und auch sonst keine Interessen im Leben haben." Noch immer gibt Michel Houellebecq den Zyniker vom Dienst. Auch in der Hörspiel-Adaption seines Skandal-Romans Plattform kommt Michel, unschwer als Alter Ego des Autors zu erkennen, schnell zum Punkt: Munter purzeln ihm zynische Spruchweisheiten aus dem Mund, alle kriegen ihr Fett weg: Grüne und Ökos, Chinesen und Taliban, Lesben und Gutmenschen, die S/M-Szene und Bestsellerautoren wie Grisham oder Forsythe. Zusammen mit seiner Freundin Valérie, die er bei einem seiner Sex-Urlaube in Thailand kennen und später lieben lernt, gibt der Dauerfrustrierte Michel der Touristikbranche neue Impulse: ungenierte Sexreisen, nur notdürftig als "Aphrodite"-Projekt verschlüsselt. Das Geschäft boomt, doch bevor sich das Paar selbst in einem der Ferienparadiese niederlassen kann, fällt der ganze Betrieb, einschließlich Thaihostessen und Westtouristen, einem islamistischen Anschlag zum Opfer -- auch Valérie ist unter den Toten. Michel versinkt wieder in seine Depressionen. Der letzte Satz nach 110 Minuten: "Man wird mich schnell vergessen." Für die Hörspielbearbeitung von Martin Zylka, preisgekrönter Regisseur der Audio-Fassung von Houellebecqs Ausweitung der Kampfzone, gilt dies keineswegs. Mit kühnen Strichen entschlackt Zylka den 370-Seiten-Wälzer des Franzosen, der leider nur allzu oft in Reiseführerprosa, dumpfe Pornografie und schlichte Banalität abrutscht, und präpariert -- besonders im zweiten Teil -- einen gänzlich neuen Houellebecq-Sound heraus: eine von tiefer Melancholie erfüllte Sprache der Liebe. Sylvester Groth lotet Michels Gefühlsfassetten meisterhaft aus und auch sonst ist die WDR-Produktion mit Stars wie Jürgen Tarrach, Ulrich Noethen oder Christian Redl bis in die Nebenrollen brilliant besetzt. Der Electronica-Teppich des französischen Easy-listening-Papstes Betrand Burgalat und minimalistisch eingestreute O-Ton-Tupfer sind Kontrapunkte einer meisterhaften Produktion. Leider auch einer beklemmend aktuellen: Ein Foto des Booklets zeigt das von einem Terroranschlag verwüstete Hotel Paradise in Mombasa. Inzwischen zielt die Gewalt deutlicher ins Herz unserer Freizeit-Paradise. Bali, Riad und Casablanca scheinen Houellebecqs düstere Prophezeihungen blutig zu bestätigen -- die Weltkarte des reiselustigen und erholungsbedürftigen Westens schrumpft rasant. --Niklas Feldtkamp Michel Houellebecq: Plattform. Hörspielbearbeitung und Regie: Martin Zylka. Musik: Bertrand Burgalat. Mit Sylvester Groth, Jürgen Tarrach, Nele Müller-Stöfen, Ulrich Noethen u. a. Spieldauer: 111 Minuten (16 Tracks). 2 CDs mit Booklet (12 Seiten). Quelle:
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