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Grammatik der Schöpfung

Grammatik der Schöpfung
Autor: George Steiner
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
Taschenbuch
Auflage:
Seiten: 352
ISBN-10: 3-423-34095-9
ISBN-13: 978-3-423-34095-3
ISBN: 3423340959
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Allen Selbstbeschreibungen avantgardistischer Künstler zum Trotz wirft George Steiner in seinem neuesten, aus den Gifford-Lectures hervorgegangenen Buch die unser modernistisches Selbstverständnis herausfordernde Frage auf, ob es bedeutende Werke in der Kunst, Literatur, Musik oder Philosophie geben kann, wenn die Annahmen des Glaubens und einer transzendentalen Metaphysik aufgegeben werden. "Über die Gott-Hypothese läßt sich nicht ohne Kosten spotten", schreibt er in seinem Schlusswort.

Man kann die Frage auch so zuspitzen: Kann es eine atheistische Kunst geben? Steiner wagt es, dies zu bezweifeln. Genau mit dieser Frage muss sich aber seiner Auffassung nach die Kultur der Moderne konfrontieren, nachdem eine Ästhetik zur Herrschaft gelangt ist, die sich von der Verpflichtung auf das Ganze der Welt abgelöst hat.

Was Steiner auf mehr als 300 Seiten entwickelt, ist also nichts weniger als eine Onto-Theologie der Kunst, die von dem Gedanken ausgeht, dass die herausragenden Werke der bildenden Kunst und Literatur aus der ontologischen Fiktion der Analogie zur göttlichen Kreation der Welt ihren Wert, aber auch ihre Macht bezogen haben, Betrachter und Interpreten zu bewegen. Schöpfung war daher immer mehr als bloße Erfindung; Steiner verwendet den an Heidegger angelehnten Ausdruck "Ins-Sein-Treten", um die Analogie begrifflich zu erfassen. Man kann unmöglich die Etappen zusammenfassen, in denen Steiner seine Grundidee entwickelt: Wie Schöpfungsgeschichten in den großen kosmologischen Mythen mit theologischen, metaphysischen und ästhetischen Vorstellungen miteinander zusammenhängen und unser Bild von Kunst, Musik und Literatur geprägt haben.

Wer allerdings geglaubt hätte, dass zu den Klassikern der europäischen Literatur ohnehin schon alles Wichtige gesagt sei, wird bei der Lektüre eine angenehme Überraschung erleben. So gelingt es Steiner -- um nur ein Beispiel zu nennen -- auf wenigen Seiten eine subtile Interpretation zum Verhältnis von Schöpfung und Originalität in Dantes Divina Commedia zu entfalten, die auch dem Kenner dieses Werkes neue Aspekte vermittelt. Steiners perspektivenreiche Lektüren gehören denn auch zu den besonders erfreulichen Erfahrungen beim Lesen dieses an Fußnoten fast provokativ armen Buchs.

Man wird Steiners kulturkonservative Prämissen, seine Skepsis gegen die modernen Naturwissenschaften und die Errungenschaften der Technik nicht unbedingt teilen, und auch nicht allen seinen ästhetischen Werturteilen folgen. Trotzdem bleibt dieses Buch ein ebenso gedankenreiches wie respekteinflößendes Meisterwerk, das aus der trostlosen und uninspirierten Masse der literaturwissenschaftlichen Durchschnittsproduktion eindrucksvoll herausragt. Steiner erweist sich damit einmal mehr als einer der letzten Repräsentanten des alteuropäischen Humanismus. --Jens Kertscher
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