Den meisten ist die Tragödie der Madame B. wohl bekannt, einige wollen sie wieder lesen, manche haben, aus welchen GrĂŒnden auch immer, noch nichts von ihr gehört und viele waren bis jetzt zu jung, um sie zu kennen. Flauberts Werk zĂ€hlt zu den zeitlosen Klassikern, die wegen ihrer nicht abreiĂenden AktualitĂ€t immer wieder aufgelegt werden. BĂŒcher, die ĂŒber Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte fĂŒr gut gehalten werden, haben viele Ebenen, auf denen man sie lesen, verstehen und interpretieren kann. Madame Bovary gehört dazu. Kritiker und Literaturwissenschaftler befinden sich, was die Analyse des Mythos Emma Bovary betrifft, schon immer im Widerstreit. Auch das zeichnet ein universales Werk aus. Es lĂ€Ăt sich in keine Schublade stecken. Wer war Madame Bovary? War sie ein Opfer ihrer Umwelt oder ein Opfer ihrer selbst? War sie sehr einfĂ€ltig oder besonders gerissen? Was macht Madame fĂŒr viele noch heute so faszinierend? Vielleicht ist das nicht abreiĂende Interesse mit den unendlichen Interpretationsmöglichkeiten ihres Charakters und ihres Schicksals zu erklĂ€ren oder mit den vielen Spekulationsmöglichkeiten ĂŒber das, was vermeidbar gewesen wĂ€re und das, was unvermeidbar war. Nachdenklich macht auf jeden Fall die GegenĂŒberstellung von verschiedenen Personen zur gleichen Zeit und am gleichen Ort: wĂ€hrend die einen ihren Aufstieg erleben, mĂŒssen die anderen unaufhaltsam ihrem Niedergang ins Auge blicken. Madame Bovary ist eine Tochter aus bĂŒrgerlichem Hause, die mit einem einigermaĂen erfolgreichen Landarzt verheiratet wird. Voller Illusionen und groĂer MĂ€dchentrĂ€ume stĂŒrzt sie sich in die Ehe, die sie bald bitter enttĂ€uscht. Nachdem sich die LiebesgefĂŒhle fĂŒr ihren angetrauten Mann als oberflĂ€chlich und flĂŒchtig erweisen, macht sich statt Leidenschaft, Anbetung und wahrer Liebe nur eine unertrĂ€gliche Leere in ihrem Herzen breit. Nicht mal Luxus ist ihr beschert. Ihr Mann arbeitet von morgens bis spĂ€t abends, um ihren mĂ€Ăigen Lebensstandard aufrecht erhalten zu können. Emma Bovary flĂŒchtet sich in lebensferne Romane und durchlebt in AbstĂ€nden Phasen von Hysterie. SpĂ€ter stĂŒrzt sie sich in heimliche LiebesaffĂ€ren, von denen sie sich ein ewig andauerndes GlĂŒck erhofft. Nebenbei versucht sie ihren bohrenden Lebenshunger mit dem Kauf kostbarer Teppiche, wertvoller Möbel und edler Stoffe zu stillen, wobei sie maĂlos ĂŒber ihre VerhĂ€ltnisse lebt. Emma begreift nicht, daĂ die Leidenschaft trotz ihrer berauschenden Höhepunkte ein hartes Brot ist, von dem allein man nicht existieren kann. So muĂ sie am Ende fĂŒr ihr blindes Umherirren und ihre verzweifelten Ausschweifungen teuer bezahlen. Gustave Flaubert zĂ€hlt zu den gröĂten Schriftstellern des 19. Jahrhunderts, wie auch George Sand, die etliche Romane unter ihrem mĂ€nnlichen Pseudonym veröffentlichte. Die beiden verband eine siebzehnjĂ€hrige Freundschaft, in der Flaubert seiner Freundin oft durch Briefe ĂŒber den Fortgang seines Werkes berichtet. Er beneidet Sand dafĂŒr, wie sie Nacht fĂŒr Nacht ihre Romane einfach, ohne die Feder abzusetzen, auf das Papier niedergieĂt, wĂ€hrend er in minutiöser Kleinarbeit jedes einzelne Wort unzĂ€hlige Male abwĂ€gt, bevor er es gelten lĂ€Ăt. Immerhin, diese akribische Kleinarbeit hat sich gelohnt. Es ist ein Meisterwerk entstanden. Eventuell könnte die Sprache des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wie Flaubert sie verwendet, in den Ohren des einen oder anderen Lesers etwas ungewohnt klingen, aber das ist Geschmackssache. Eher hebt sie die AtmosphĂ€re der Zeit hervor, in der Madame B. gelebt und gelitten hat. Das Thema bleibt brennend: Befreiung oder Untergang? Selbstverwirklichung oder Unterwerfung ? Welcher Pfad wurde an den Scheidewegen des Lebens jeweils eingeschlagen, der Richtige oder der Falsche? Wo liegen die persönlichen Fehler, wo die der Umwelt? Kurz: Wieviel EinfluĂ hat der Mensch auf seinen Charakter und sein Schicksal? Die Geschichte der Madame Bovary lĂ€Ăt viele Antworten zu. FĂŒr jeden eine. --Daphne GroĂmann Quelle:
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