Der französische Schriftsteller Jean Raspail hat in den frühen siebziger Jahren dem Angstgegner des saturierten Westens ein Gesicht verliehen. Spätestens seit der Zeit, als sein fiktives Heer hohlwangiger Farbiger aus Kalkutta an der Côte d'Azur landete, um die wohlgefüllten Fleischtöpfe der europäischen Industrienationen zu erobern, richtete sich der Blick gebannt gen Süden, während derweil über zwei Drittel der Migranten aus dem Osten quollen -- Tendenz steigend. Dass dennoch kein Anlass zur Panik besteht, sondern -- abgesehen von Flucht und Vertreibung - Wanderungen nüchtern als Teil der Conditio humana akzeptiert und als notwendige Reaktionen auf den ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Wandel zu begreifen sind, zeigt der Historiker Klaus J. Bade, Leiter des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) an der Universität Osnabrück, in seinem Buch Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, das als Beitrag zur internationalen Verlagsreihe Europa bauen bei C. H. Beck erschienen ist. "Aktuelle Migrationsprozesse kann besser beurteilen, wer abgeschlossene -- mithin historische -- überblickt und die Entwicklungslinien kennt, an deren Ende die Probleme der Gegenwart stehen." So lautet das Leitmotiv seiner epochen-, formen- und länderübergreifenden Darstellung des Wanderungsgeschehens in, aus und nach Europa unter besonderer Berücksichtigung der wirtschafts-, sozial-, kultur- und politikhistorischen Aspekte. Anhand zahlreicher Fallbeispiele schlägt Bade einen Bogen von den proletarischen Massenwanderungen im Gefolge krisenhafter Entwicklung von der Agrar- zur Industriegesellschaft über die transnationalen Arbeitsmigrationen und agrarischen Saisonwanderungen im Zuge der Herausbildung der kapitalistischen Landwirtschaft, die koloniale Migration in der Hochphase imperialistischer Expansion und den Massenexodus in die Neue Welt bis hin zum Jahrhundert der Weltkriege, das zugleich ein Jahrhundert der Flüchtlinge war. Bades Buch, das eine empirisch abgesicherte und fundierte Synopse nationaler und transnationaler Migrationsprozesse liefert, wäre die geeignete Basis für den Europa-Teil einer seit Jahrzehnten geforderten Weltgeschichte als Geschichte der Wanderungen. --Roland Detsch Quelle:
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