"Es ist immer Winter vor dem Klavier." Der rätselhafte Satz von Thelonious Monk -- diesem genialischen Piano-Folterknecht -- lässt ahnen, was gemeint ist: Die schwarz-weiße Zahnreihe, die den Spieler anbleckt und ihm punktgenaue musikalische Höchstleistung abverlangt, bedeutet oft eine grausame Trennung der Spreu vom Weizen. Thomas Bernhard hat dies in seinem Roman Der Untergeher anschaulich beschrieben, als ein angehender österreichischer Klaviervirtuose Selbstmord begeht, nachdem er Glenn Gould mit seinen Goldberg-Variationen auf der Bühne erlebt hat. Nach Pianoforte von 1985, diesen wunderschönen Reflexionen über das Klavier im 19. Jahrhundert, führt uns Dieter Hildebrandt nun durch die pianistischen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts. Vorbei war es da mit dem Virtuosenzauber eines Schumann, Liszt oder Chopin. Dem Klavier als "bürgerlichem Hausinstrument", wie Max Weber es bezeichnete, wurde der Garaus gemacht. Leute wie John Cage rückten dem Traditionsinstrument gleich mit dem Werkzeugkasten zu Leibe, in der Hoffnung, mit Schrauben und Muttern zwischen den Saiten die Grenzen der Tonalität ausloten zu können. Der junge Charles Ives war fasziniert von der Vierteltontechnik, einer dem menschlichen Ohr in nicht geringem Maße zusetzenden Hörerfahrung. In Wien glichen Konzertsäle des Öfteren Schlachtfeldern. 1907 hagelte es bei der Uraufführung eines Quartetts von Schönberg Ohrfeigen im Publikum, bei denen selbst Hofoperndirektor Gustav Mahler munter mitmischte. Hildebrandt präsentiert eine Jahrhundertparade an wunderlichen Käuzen und Exzentrikern. Der Kampf der Tonmeister Ferruccio Busoni und Arnold Schönberg, die über die ideale Notenverteilung in Schönbergs opus 11 brieflich Krieg führten, Glenn Goulds Vorliebe für kochendheiße Ölhandbäder, bevor er auch nur eine Taste anschlug, Debussys Flirt mit dem Ragtime, die Schrullen eines Neutöners namens Conlon Nancarrow, der Interpreten von Herzen hasste und nur noch für ein mechanisches Walzenklavier komponierte. Geschichten über Geschichten, die dokumentieren, dass das immer wieder totgesagte schwarze Möbelstück noch ganz schön quicklebendig ist. --Ravi Unger Quelle:
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