Man kann ihre Aufgeregung schon nachvollziehen, als sie endlich zu ihrem ersten Interview mit Seiner Heiligkeit vorgelassen wird. Isabel Hilton war vorgewarnt. Der Dalai Lama lache gerne und ausgiebig, stehe allen Fragen offen gegenüber, man solle dieses Lachen aber auch als Hinweis verstehen, wenn er nichts mehr zu sagen wünsche. Als die Rede schließlich auf sein "spirituelles Gegenstück", den verschwundenen Panchen Lama, kommt, lacht der Dalai Lama nicht mehr, spricht aber umso deutlichere Worte. Zu ernst und von größter politischer Wichtigkeit innerhalb und außerhalb Tibets, ist die Frage nach dem Verschwinden der Reinkarnation des 1989 verstorbenen zehnten Panchen Lama. In Tibet bildet er, in seiner wiedergekehrten Form als Buddha des grenzenlosen Lichts, zusammen mit dem Dalai Lama als Manifestation des Buddhas des grenzenlosen Mitgefühls, traditionell eine enge spirituelle Gemeinschaft. Als höchste "bodhisattvas" fungieren beide füreinander als Lehrer und Schüler -- nach dem Tod des einen spielt der andere eine Schlüsselrolle bei der Identifizierung seiner Reinkarnation. Unzählige Gespräche führte die Journalistin und Chinaexpertin in Dharamsala, Hochburg westlicher Buddhismustouristen und Exil des Dalai Lama im Norden Indiens, bis sie die Auswirkungen eines ungeheuren politischen Verbrechens seitens der Chinesen detailliert dokumentiert hatte. Die Reinkarnation des Panchen Lama, ein vom Dalai Lama bestimmter sechsjähriger Junge, wurde 1995 mitsamt seiner Familie von den Chinesen aus dem tibetischen Autonomiegebiet verschleppt und gilt bis heute als verschollen. Eine Erschütterung des gesamten tibetischen Glaubenskreises, zumal China dreist einen eigenen Panchen Lama installierte! Der vom Dalai Lama gewählte Gedün Chökyi Nyima wird womöglich nie wieder aus dem Schatten seiner Gefangenschaft auftauchen. Umgekehrt wird ein chinesischer Panchen Lama niemals von den Exiltibetern anerkannt werden. Hiltons Buch, eine Mischung aus spannendem Reisebericht, profunder Einführung in den Buddhismus und der Suche nach dem Verbleib des rechtmäßigen Panchen Lama, könnte der Stein des Anstoßes sein, die verhärtete Haltung Chinas in der Tibetfrage ins Wanken zu bringen. --Ravi Unger Quelle:
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