Tolkiens Erbe ist eine absolut empfehlens- und unbedingt lesenwerte Anthologie ausgesuchter Kleinode der Fantasy-Literatur. Die Herausgeber Erik Simon und Friedel Wahren haben ihre Sammlung den Zeitgenossen, Erben und respektlosen Enkeln Tolkiens gewidmet, der mit seinem Epos Der Herr der Ringe das Fantasy-Genre zwar nicht begründet, aber zu ungeahnter Popularität und Massenwirkung geführt hat. Leider wird mit dem Namen Tolkien für viele Fantasy-Romane geworben, die ihrem Vorbild nicht gerecht werden, so dass der Vergleich meist als Warnung dienen sollte. Davon kann bei den hier versammelten Autoren nicht die Rede sein, da sie zu den Besten ihres Faches gehören und die Auswahl für Einsteiger und Kenner der Fantasy-Literatur gleichermaßen zu empfehlen ist. Das Buch ist in drei Abschnitte unterteilt und beginnt mit zwei Zeitgenossen, Lord Dunsany und E.R. Eddison. Für manchen Geschmack vielleicht etwas altmodisch, aber gerade Dunsay ist nicht ohne Einfluss auf Tolkien geblieben. Der zweite und umfangreichste Abschnitt ist den Erben gewidmet, wobei die ausgewählten Autoren nur das Kriterium eint, zeitlich nach Tolkien Fantasy vom Feinsten verfasst zu haben. Dies soll jedoch der Schaden des Lesers nicht sein! Vertreten sind u.a. Stephen R. Donaldson (Thomas Convenant, der Zweifler) und Michael Moorcock (Elric von Melniboné), beides eher Vertreter einer düsteren Fantasy, die für manchen Tolkien-Fan gewöhnungsbedürftig, aber auf jeden Fall entdeckenswert sind, sowie Jack Vance oder Tanith Lee. Hier geht es um Hexer, einsame Schwertkämpfer, magische Welten, gute und böse Zauberkunst und Drachen dürfen natürlich auch nicht fehlen. Nur herein ins Reich der Fantasie! Unter der Überschrift "Tollkühnheiten" sind die parodistischen Elemente der modernen Fantasy versammelt. Qualitativ etwas aus dem Rahmen fällt das Kapitel aus "Der Herr der Augenringe", das zwar äußerst spaßig zu lesen ist, aber literarischen Ansprüchen nicht unbedingt gerecht wird. Da sei Fans dieser Lesart eher Terry Pratchett wärmstens ans Herz gelegt, der mit einem Kapitel aus seinem ersten Scheibenwelt-Roman Die Farben der Magie vertreten ist. Puristen des Genres sollten hier vielleicht lieber weiterblättern -- allen anderen ist Hochgenuss gewiss! Bei soviel Liebe zum Genre verzeiht man den Herausgebern gern auch die ein oder andere Ungenauigkeit. So sprechen sie in der Vorbemerkung von Elfen, obwohl Tolkien diesen Begriff eindeutig ablehnte, um seine Elben von den kleinen geflügelten Wesen zu unterscheiden. Von Ursula K. LeGuins Erdsee-Saga liegen inzwischen bereits sechs Bände vor, die Erzählung Drachenkind ist auch in Die Archive von Erdsee enthalten. Eine der wenigen Fantasy-Reihen, die sich im Übrigen zurecht mit Tolkien vergleichen darf. Kann man den Autoren da wirklich übel nehmen, dass ihre im Zuge der Peter-Jackson-Verfilmung erschienene Anthologie auf der Tolkien-Welle mitschwimmt? Dieser kleine, aber äußerst werbewirksame Kniff sei ihnen verziehen, denn der Band ist in jedem Regal bestens aufgehoben und seine Leser wert. --Birgit Schwenger Quelle:
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