Berlin. Hauptstadt des vereinten Deutschlands. Und Reichshauptstadt zu der Zeit, als dieser Roman erschien, 1892 in der Deutschen Rundschau. Theodor Fontane hat in seinen "Berliner Romanen" ein Stück deutsche Geschichte eingefangen -- die Gründerzeit. Zeit des Wohlhabens und der Wohlhäbigkeit, Zeit des Protzes und der Äußerlichkeiten; für den privilegierten Teil der Gesellschaft zumindest. Es ist die Geschichte einer Neureichen, die Fontane hier kunstvoll erzählt, einer Vertreterin der von ihm so verachteten Bourgeoisie: Kommerzienrätin Jenny Treibel, geborene Bürstenbinder, Tochter eines kleinen Materialwarenhändlers. Eine seltsame Mischung aus Sentimentalität und Berechnung macht den Charakter der Protagonistin aus, die in ihrer Jugend den romantischen Gedichten des begabten, aber unbedeutenden Studenten Wilibald Schmidt lauschte, dann aber doch lieber den reichen Fabrikanten Treibel heiratete. Genau das, eine Heirat mit einem reichen Mann, verwehrt sie nun der klugen und geistreichen Corinna Schmidt, der Tochter Wilibalds. Denn der reiche Mann ist ihr Sohn Leopold, ein weiches und ziemlich langweiliges Muttersöhnchen. Trotz aller Hochmütigkeit und Hartherzigkeit bleibt die Zeichnung der Jenny Treibel, wie auch der anderen Figuren, immer ironisch, immer komisch; denn Fontane wollte keine moralische Vernichtung, sondern eine "humoristische Verhöhnung" der Bourgeoisie. "Die Echtheit des Kolorits", die "treue Darstellung des gegenwärtigen Berliner Lebens" haben Zeitgenossen Fontane beschieden. Die realistische und subtil-ironische Zeichnung der Berliner Gesellschaft übt bis heute eine unglaubliche Faszination aus -- vielleicht besonders vor dem Hintergrund des vereinten Berlins, das sich, gut hundert Jahre nach der Gründerzeit im Kaiserreich, erneut in einer Phase des Aufschwungs befindet. --Lilli Belek Quelle:
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