Der 11. September 2001 markiert angeblich das Datum, "nach dem nichts mehr so sein wird, wie es war". Dies jedenfalls vermuteten beinahe unisono alle, denen in den Wochen nach den Terroranschlägen der al-Qaida auf New York und Washington ein Mikrofon vorgehalten oder ein Stift in die Hand gedrückt wurde. "Die schrecklichen Ereignisse vom 11. September besitzen zweifellos eine neue Qualität", konstatiert auch Noam Chomsky in seiner analytischen Rückschau auf die Hintergründe und Folgen dieses Tages, diese jedoch bestünden "nicht in ihrem Umfang oder ihrem Charakter (...), sondern in dem Ziel der Angriffe. Seit 1812 nämlich haben die Vereinigten Staaten keinen Angriff auf ihr Territorium mehr erlebt; es wurde noch nicht einmal bedroht". Insofern also hat sich schon etwas verändert; davon aber, dass nichts mehr so sei, wie es war, kann nach Chomskys Auffassung nicht die Rede sein! In sechs Essays führt uns der für seine ebenso scharfsichtigen wie scharfzüngigen politischen Analysen und Polemiken bekannte Linguistik-Professor vor Augen, was seiner Meinung nach alles nicht stimmt in der auf den schwärzesten aller amerikanischen Septembertage folgenden Anti-Terror-Rhetorik. Dabei zaubert er nichts aus dem Hut, was nicht schon längst jeder wissen könnte. Aus einer sehr aufmerksamen Zeitungs- und Gesetzeslektüre vor allem schöpft er die Fakten und will uns damit zugleich vor Augen führen, wie unaufmerksam unsere (politische) Wahrnehmung ist und wie groß die Bereitschaft, uns von bloßer Rhetorik gefangen nehmen zu lassen. So zeigt Chomsky anhand der im US-amerikanischen Strafgesetzbuch niedergelegten Definition des Terrorismus, dass es von den jeweiligen politischen Umständen und Machtstrukturen abhängt, "ob die Androhung oder Anwendung von Gewalt als terroristisch bezeichnet wird". Jedenfalls könnte mithilfe der Strafbestimmung auch die amerikanische Politik als terroristisch gegeißelt werden. An Beispielen für in dieser Hinsicht fragwürdige Militäraktionen der USA ist kein Mangel, und Chomsky führt einige davon an. So ließ die Reagan-Regierung 1985 einen bombenbepackten Lastwagen vor einer Moschee explodieren und zwar in voller Absicht exakt in dem Moment, in dem die Gläubigen das Gebäude verließen. Auch die Unterstützung "israelischer Greueltaten" und die Zerstörung einer pharmazeutischen Fabrik im Sudan werden in dem "Staatsverbrechen" überschriebenen Kapitel wohl belegt als solche gebrandmarkt. Man muss den Interpretationen des Autors sicher nicht in jeder Einzelheit folgen, in Bausch und Bogen verwerfen wird man sie aber kaum können. Jedenfalls ist die Lektüre jedem sehr zu empfehlen, der die Dinge auch einmal aus einer dezidiert anderen Perspektive betrachtet sehen will, als sie mehrheitlich in der Medienberichterstattung (der ebenfalls ein Abschnitt gewidmet ist) eingenommen wird. --Andreas Vierecke Quelle:
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