Nach Die stille Mitte der Welt ist dies der zweite Sammelband mit "Stories aus dem Nachlass", der innerhalb der auf 34 Bände angelegten Patricia-Highsmith-Werkausgabe erscheint. War den Erzählungen in Die stille Mitte der Welt noch ein gewisses Tasten nach Stoffen und angemessener Form anzumerken, handelt es sich bei Die Augen der Mrs. Blynn fast ausnahmslos um Meistererzählungen. Den Auftakt macht die Titelstory, und sie bereitet die Leser auch gleich auf den Grundtenor des Bandes vor: Fast alle Geschichten handeln von gescheiterten Existenzen, nicht wenige enden in resigniertem Selbstmord. Mrs. Blynn beispielsweise schildert die letzten Tage der alten Dame Mrs. Palmer, die auf einer Reise von einer Krankheit heimgesucht wird. In einer ihr fremden Ortschaft ans Bett gefesselt, ist sie dem habgierigen Blick ihrer Krankenschwester -- Mrs. Blynn -- ausgesetzt, die nur auf ihr Ableben zu warten scheint. Ähnlich deprimierend geht es in "Ein gefährliches Hobby" und "Die zweite Zigarette" zu. Mag der Leser das merkwürdige Verhalten der Protagonisten anfangs noch als nebensächliche Charakterschwächen abtun, muss er bald einsehen, dass er mit Menschen konfrontiert wird, die schlicht nicht aus ihrer Haut können -- doch genau das wäre vonnöten, um ihre unerträgliche Lebenssituation zu verändern. Fast wie ein kleines Wunder erscheint es da, wenn ausgerechnet die Story "Zum Versager geboren" zwar den Erwartungen des Titels entspricht, aber trotzdem mit einem Hoffnungsschimmer endet. Und "Des Menschen bester Freund" ist geradezu eine liebenswerte Fabel, weshalb sie vermutlich nicht in die Storysammlung Kleine Mordgeschichten für Tierfreunde aufgenommen wurde. Für Patricia-Highsmith-Fans dürften die beiden Bände mit Erzählungen aus dem Nachlass zu den Highlights der Werkausgabe gehören. Sie lassen uns die Entwicklung einer Autorin nachvollziehen, die zeitlebens nur selten Einblicke in ihren Schaffensprozess gestattete. Darüber hinaus sind es Geschichten, die uns vorübergehend der Wirklichkeit entreißen und in eine Welt entführen, die zwar meist nicht besser ist als die unsere, aber auf jeden Fall spannender. --Hannes Riffel Quelle:
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