Die erfolgreiche englische Krimiautorin Barbara Vine, alias Ruth Rendell, kann sich mittlerweile auch in Deutschland auf einen großen Leserkreis berufen. Die Kriminalromane von Barbara Vine sind keine Romane nach dem bewährten Whodunit-Schema. Vielmehr versucht die Autorin dem Leser zu erklären, was Täter zu Tätern werden läßt. Es geht ihr um die gründliche Erforschung der Tiefen der menschlichen Seele. Vines Charaktere sind von einer unübertroffenen Lebendigkeit, jede Figur ist für sich ein Unikum mit einer eigenen Persönlichkeit. Die Handlung erwächst einzig aus den Personen. Durch die perfekte Beschreibung von Lebensumständen, durch schonungslose Studien menschlichen Verhaltens, gelingt es Vine immer wieder, dem Leser das kriminelle Verhalten ihrer Protagonisten als psychologische Notwendigkeit plausibel zu machen. Auch ihr neuester Roman Der schwarze Falter wird so wieder zu einem spannenden Seelenkrimi: Der berühmte Autor Gerald Candless stirbt mit 71 Jahren unerwartet an einem Herzanfall. Als Schriftsteller ist Candless "voller Mitgefühl und warmer Menschlichkeit". Privat ist er der Inbegriff eines Bilderbuchvaters und wird von seinen zwei erwachsenen Töchtern vergöttert. Einzig Geralds Ehefrau Ursula gesteht sich auf der Beerdigung ihres Mannes ein, lange nicht so glücklich gewesen zu sein. Nach dem Tod ihres Vaters beginnt Tochter Sarah mit seiner Biographie. Schon zu Beginn der Recherchen stößt sie auf Ungereimtheiten im Lebenslauf des Vaters, die sich mehr und mehr zu einem drohenden Geheimnis verdichten. Immer weiter verstrickt sich Sarah in den Fäden des väterlichen Stammbaumes und stößt auf überraschende Erkenntnisse. Viele Handlungsstränge laufen parallel: Sarahs spannende Familienforschung, Ursulas nüchterne Reflektion über ihr Eheleben, daneben Ursulas neues Leben als Witwe, Sarahs verzwicktes Liebesleben, die komplizierte Beziehung Ursulas zu ihren Töchtern, ein längst vergangener Mord in Highbury -- alles eingebettet in die reizvolle Szenerie Cornwalls. Vine stellt auch hier wieder ihre außerordentliche Fähigkeit unter Beweis, verschiedene Handlungsstränge zu einem absolut klaren Muster zu verweben, zu einem dichten Geflecht von Beziehungen, das sich ohne Löcher und Unklarheiten am Ende zu einem perfekten logischen Ganzen fügt. Der englische Originaltitel The Chimney Sweeper`s Boy wurde im Deutschen zu Der schwarze Falter umformuliert. Ein Titel, der besser nicht gewählt sein könnte, denn tatsächlich verbirgt sich dahinter die Lösung des Geheimnisses. Was der schwarze Falter mit der Vergangenheit des erfolgreichen Schriftstellers Gerald Candless zu tun hat, warum Ehefrau Ursula über den Tod ihres Mannes Erleichterung empfindet, was schließlich der Schlüssel dieses Geheimnisses ist und wie alles auf verschlungenen Wegen ans Tageslicht kommt -- das sollte der Leser selbst herausfinden. Zwar ist Der schwarze Falter nicht einer der stärksten Vine-Romane und bleibt beispielsweise in der Dreidimensionalität der Figuren hinter der Schwefelhochzeit zurück. Trotzdem: Einige Stunden spannender Lektüre sind garantiert. Ein Muß, vor allem für diejenigen Vine-Fans, die die genealogischen Fähigkeiten der Autorin schätzen und schon Astas Tagebuch mit Begeisterung gelesen haben. --Ursula Kohaupt Quelle:
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