Biografien über Oscar Wilde gibt es viele. Gerade zu seinem 100. Todestag -- Wilde starb am 30. November 1900 -- befassen sich eine ganze Reihe von Neuerscheinungen mit diesem faszinierenden Dichter, der seiner Zeit in so vielfacher Hinsicht voraus war. Barbara Belford will Wilde dennoch neu entdecken. Sie will ihn "so darstellen, wie er seinen Zeitgenossen erschienen ist, mit all seinen funkelnden Widersprüchen", als Genie und Provokateur, mit Ansichten über Gesellschaft, Politik und Kunst, die heute noch so bedenkenswert sind wie damals. Wildes Beziehung zum jungen Lord Alfred Douglas zählt Belford zu den "großen Liebesgeschichten des 19. Jahrhunderts". Oscar Wilde genoss es, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, gefiel sich in der Rolle des Dandys. Schon seine Kleidung erregte Aufmerksamkeit: Brokatweste, ausladender Mantel mit Seehundfellbesatz, stets eine frische Blume im Knopfloch. So stilisierte er sich selbst zum Kunstwerk, und der Genuss des Schönen wurde zum Leitmotiv für sein Leben und Schreiben. Seine Werke -- raffinierte Märchen und Erzählungen, die Tragödie Salomé, witzige Gesellschaftskomödien, der Roman Das Bildnis des Dorian Gray -- sind beeindruckende sprachliche Meisterwerke, die zugleich die Abgründigkeit eines allein auf Sinnenfreuden ausgerichteten Daseins aufzeigen. Im Privaten war Oscar Wilde ebenfalls der Schönheit verfallen, vor allem derjenigen junger Männer. Obwohl verheiratet, entdeckte er die Homosexualität immer mehr als prägenden Teil seiner Individualität. Wilde pflegte zahlreiche Affären im Londoner Strichjungen-Milieu. Und mit dem wesentlich jüngeren Lord Alfred Douglas verband ihn eine obsessive Leidenschaft, die ihm letztlich zum Verhängnis wurde. Denn die Liebe zwischen Männern war im viktorianischen England strafbar, und die Gerüchte über Wildes Affären mündeten 1895 in einen Prozess, in dem man Wilde zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilte. Körperlich, seelisch und sozial ruiniert wurde er entlassen und verbrachte die letzten Jahre seines Lebens vor allem in Paris, wo er schließlich in einem billigen Hotel starb. Ausgiebig lässt die Autorin Wilde selbst zu Wort kommen. Sie zitiert aus seinen Briefen, Essays und Schriften, gibt ihrem Protagonisten somit eine lebendige Stimme. Dem Denken und Fühlen Wildes kommt die Autorin in dichter Beschreibung sehr nahe. Allerdings: Wildes künstlerisches Werk scheint Belford nur zu interessieren, wenn sie damit seine Biografie illustrieren kann. Einen eigenständigen Wert misst sie der Literatur des Dichters kaum zu. Und so erfährt man in diesem Buch sehr viel über den Menschen Oscar Wilde, aber wenig über sein Werk. --Christoph Peerenboom Quelle:
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