Der Lauscher an der Wand hört ja bekanntlich seine eigene Schand' -- so jedenfalls will es ein altmodisches Sprichwort. Im Zeitalter komplexer Technik aber brauchen sich Betroffene gar nicht mehr bemühen, Unliebsames zu erfahren: Das Telefon bringt ihnen vernichtende Botschaften per Zufall quasi selbstständig zu Gehör. So jedenfalls ist es in Ingrid Nolls Buch Rabenbrüder, in dem eine im Handy gespeicherte Nummer durch eine unbedachte Berührung der Ruftaste aktiviert wird und direkt bei der Heldin Annette anklingelt. Das Handy gehört ihrem Ehegatten Paul, und Annette wird ungewollt Zeuge eines Ehebruchs, der auf Granada fortgeführt werden soll. Weitere Recherchen ergeben, dass auch Annettes neue Lebensversicherung in dem beschämenden Techtelmechtel eine Rolle spielt. Soll Annette etwa ermordet werden? Zunächst aber hat Annette Glück: Statt ihrer trifft es den verhassten Schwiegervater. Ausgerechnet an jenem schwarzen Gründonnerstag, an dem der Granada-Seitensprung auf der Tagesordnung steht, verkündigt Pauls unheilschwangeres Handy dessen nahendes Ableben (und verursacht auch noch einen Verkehrsunfall). Während des Leichenschmauses keimt auch hier bald schon der Verdacht auf, ob das Ableben wirklich mit rechten Dingen vonstatten ging. Schließlich hatte seine Frau Helen ein gutes Motiv. Paul und sein Bruder Achim verstricken sich immer mehr in Tötungsfantasien, während Annette nach ihrem Granada-Trauma ganz eigene Gedanken entwickelt. "Im Spanischen heißt Granada zwar Granatapfel, aber auch Granate", weiß Ingrid Noll, und genauso doppelbödig kommt auch ihr Roman daher, in dem eine nur nach außen hin intakte Familie die eine oder andere Leiche im Keller hat. Rabenbrüder ist wieder einmal ein spannendes, schwarzhumoriges und klug gebautes Buch über die dunklen Seiten der gutbürgerlichen Seele in bester Noll-Manier. Empfehlenswert. --Stefan Kellerer Quelle:
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