Auch wenn das schwer zu glauben ist: Ausgerechnet Marcel Proust, der feinsinnige Chronist vornehmen gesellschaftlichen Lebens, stand Pate für diesen Roman, der ein Milieu schildert, das übler beleumdet nicht sein könnte: "Ich will gestehen, dass ich damals sehr von Proust beeinflusst war und dass man dies wohl merken wird -- aber schließlich, dürfen wir Schriftsteller nicht auch einen Lehrer haben?" Natürlich war es Friedrich Glauser nicht um den Stoff seines Vorbilds zu tun, sondern um den Blick des Erzählers in die Zeit, um Prousts ganz eigentümliche Art der Erinnerung. Gourrama ist eine Auseinandersetzung des Autors mit Erlebnissen, die ihn zutiefst geprägt haben und denen er sich literarisch wieder annähern wollte. Glauser wurde im April 1921 von seinem Vater genötigt, der Fremdenlegion beizutreten und tat zwei Jahre Dienst im so genannten Französisch-Nordafrika. Der Roman selbst spielt 1923/24, in einer der heißesten Phasen der Auseinandersetzung um die Vorherrschaft in Marokko. Davon ist in Gourrama nur wenig zu spüren, und darin dürfte einer der Hauptgründe liegen, weshalb der Roman bei Zeitgenossen, die Glauser ansonsten schätzten, auf wenig Verständnis stieß: Allzu sehr unterscheidet er sich von der Flut der damaligen Fremdenlegionsliteratur, in der Legionäre ihre Kriegszeit als Initiationsritus und ereignisreichen Abenteuerstoff verkauften. Bei Glauser steht das Zusammenspiel der Gruppe im Mittelpunkt; wie auch in seinen späteren Texten beobachtet er mit beeindruckender Genauigkeit und verzichtet auf jegliche Selbststilisierung. Und wie für seine anderen Texte gilt auch für Gourrama: Der Roman ist spannend, gerade weil der Autor zugunsten einer dichten Atmosphäre und einer unaufdringlichen, überzeugenden Zeichnung seiner Figuren auf reißerische Handlungselemente verzichtet. "Ich glaube, dass Gourrama eines der besten Bücher ist, das in diesem Jahrhundert in der Schweiz geschrieben wurde", sagte Peter Bichsel. Die vorliegende Ausgabe, die sich streng an das erhaltene Manuskript hält und sämtliche Varianten Glausers sowie Überarbeitungen Dritter nachvollziehbar macht, ist eine editorische Meisterleistung. All das dürfte nicht nur Spezialisten interessieren, sondern ermöglicht einen Blick in die Schreibwerkstatt eines Autors, der -- vielleicht mit Ausnahme von Matto regiert -- nie wieder Gelegenheit haben sollte, ein vergleichbar ambitioniertes Werk auszuarbeiten. --Hannes Riffel Quelle:
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