So hatte sich Elena Vizzini den Beginn ihrer Lehrerlaufbahn nicht vorgestellt: Vom Schulamt wird sie ausgerechnet in ein abgelegenes Dorf im sizilianischen Bergland versetzt, wo sich ihre Schüler in einem unverständlichen Dialekt verständigen und die Gespräche der Erwachsenen sich nur um "Krankheiten, Ratenzahlungen und das Fernsehprogramm" drehen. Die Warnungen ihrer Mutter, die Sizilianer seien alle "Barbaren", scheinen sich schon am ersten Abend zu bewahrheiten, als Elena mitten auf dem Marktplatz vor allen Leuten von einem Mann belästigt wird, ohne dass auch nur einer der zahlreich anwesenden Dorfbewohner dazwischen tritt. Doch als am nächsten Morgen ihr Peiniger mit fünf Schüssen im Körper und einer Wiesenblume im Mund in einem Stuhl auf der Piazza sitzend gefunden wird, begegnen die Dörfler Elena plötzlich mit großer Ehrfurcht und Respekt. Die spektakuläre Hinrichtung bleibt nicht die einzige; die junge Lehrerin sieht sich ohne ihr Wissen und Zutun von unsichtbaren Mächten geschützt, die jeden, der ihr zu nahe tritt oder sie verletzt, mit dem Tode bestrafen. Doch wer sind die ehrenwerten Leute, die Elena unter ihren Schutz gestellt haben und die Fäden im Dorf in ihren brutalen Händen haben? Welche geheime Rolle spielt der undurchsichtige reiche Rechtsanwalt Bellocampo, der Elena mit feinem Likör bewirtet und die Bauern aus dem Dorf verachtet? Während Elena versucht, das weit gespannte Netz der Abhängigkeiten und Intrigen zu durchschauen, wird auch ihr leidenschaftliches Verhältnis zu Michele Belcore, dem einzigen Menschen, dem sie glaubt vertrauen zu können, immer mehr in Mitleidenschaft gezogen. Bereits 1975 erschien "Gente di rispetto" -- so der Originaltitel -- und avancierte bald als eine der eindrucksvollsten und überzeugendsten Darstellungen mafioser Strukturen zu einem Klassiker der neueren italienischen Kriminalliteratur. Giuseppe Favas Roman hat auch heute nichts von seiner bedrückenden Atmosphäre der Bedrohung und der schonungslosen Schilderung jener sozialen und geistigen Unterdrückung und Gewalt, mit denen die Mafia ihre Macht etablieren konnte, verloren. Fava, der selbst aus Sizilien stammte, hat sich als Schriftsteller und Journalist immer wieder mit den "ehrenwerten Leuten" seiner Heimat angelegt. Als er 1984 ein von ihm verfasstes Anti-Mafia-Stück aufführen ließ, wurde Giuseppe Fava vor seinem Theater ermordet. --Peter Schneck Quelle:
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