Robert Schneiders Meisterwerk Schlafes Bruder, vor über einem Jahrzehnt erschienen und großartig verfilmt, steht noch immer als uneingelöstes Versprechen am Beginn einer Schriftstellerkarriere. Seither hat Schneider ausschließlich Werke publiziert, die sein großes Potenzial zwar zeigen, es jedoch kaum zu nutzen wissen. Kristus entspricht noch am ehesten den Erwartungen, an denen sich der Autor seit Schlafes Bruder messen lassen muss. Der Stoff ist gut gewählt: Das Schicksal des Wiedertäufers Jan van Leyden, der sich im 16. Jahrhundert zum Diktator über das protestantische Münster aufschwingt, birgt ein Übermaß an Dramatik und ist in seiner ethischen Dimension auch heute noch von brennender Aktualität. Als Jan Beukels in der niederländischen Stadt Leiden aufgewachsen und mit großem rhetorischen Talent begabt, geht der Junge erst bei dem wohlmeinenden Kartäusermönch Gerrit tom Kloister in die Lehre und mausert sich schließlich zu einem erfolgreichen Kaufmann, der ganz Europa bereist. Zum Verhängnis wird ihm sein Charisma, dem seine Mitmenschen nur schwer widerstehen können. “Wo und wann immer Menschen einer Utopie erlegen sind, mussten sie scheitern und oft daran zerbrechen”, gibt Schneider zu bedenken. Damit bringt er die Botschaft, die seinem Roman zugrunde liegt, auf den Punkt. Leider ist der Autor ebenso wie seine Figur vom Schwung der Ereignisse mitgerissen worden: Sprache wie Umfang des Romans sind ihm aus dem Ruder gelaufen und machen die Lektüre bisweilen zu einem eher anstrengenden Unterfangen. Bei aller Kritik sollte allerdings nicht vergessen werden, dass Schneider auf einem Niveau scheitert, das andere Schriftsteller nicht einmal anzustreben wagen. Insofern ist Kristus noch immer ein literarisches Ereignis. --Helge Basler Quelle:
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