Am schönsten wäre es natürlich, wenn wir von Benn nur die Gedichte besäßen. So aber müssen wir gierig alles weglesen, was sich etwa noch in Nischen und Nachlässen findet. Und wer den Dichter schätzt, wird daher auch dieses Buch verschlingen. Es bietet durchaus Amüsantes und manches Neue. Allerdings: kein reines Vergnügen. Dem Verlag hat es an Mut gefehlt, Frau Ziebarth darauf hinzuweisen, dass sich das Interesse an ihrer Person -- jedenfalls in diesem Buch -- ausschließlich auf den Zusammenhang mit Benn erstreckt und keinesfalls auf fernere Lebensschicksale, Reisen, Vorlieben und Befindlichkeiten. Welche Peinlichkeit, lesen zu müssen, sie verfüge auch heute noch über unverkrümmte Zehen, weil sie seinerzeit Benns Wunsch nach Schuhen mit hohen Absätzen widerstanden habe! Liebesbriefe bergen viel Langeweile: Besorgnisse, Zänkereien, vor allem endlose Wiederholungen. Da Sexualia allenfalls angedeutet werden, findet auch der Voyeurismus keinen Gegenstand. Aber wir erfahren viel über Dichter und Werk. Nicht zuletzt dank der Mitautorin Ziebarth. Ihre Schilderung etwa von Benns Gefolgsmann Oelze zeigt, wie wenig Benns Stilisierungen des Kaufmanns mit der Wirklichkeit zu tun gehabt haben mögen. Und über Benns letzten Gedichtband Aprèslude -- mit Gedichten wie "teils -- teils" oder "Letzter Frühling" -- wird von nun an niemand mehr sprechen dürfen, ohne die hier dokumentierte Entstehungsgeschichte in Betracht zu ziehen. Bleibt noch der Aspekt: Gottfried als Liebesvirtuose. "Gute Regie ist besser als Treue" hatte er 20 Jahre zuvor an Oelze geschrieben. Jetzt empfiehlt er als dicker alter Herr einer aparten 30-Jährigen "warme Schlüpfer". Seine Liebesbriefe sind allenfalls rührend. Aber: "Wenn er eine Frau berührte, war er von größter Zartheit". Nun denn: Respekt. --Michael Winteroll Quelle:
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