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Am Beispiel meines Bruders

Am Beispiel meines Bruders
Autor: Uwe Timm
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
Taschenbuch
Auflage:
Seiten: 160
ISBN-10: 3-423-13316-3
ISBN-13: 978-3-423-13316-6
ISBN: 3423133163
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In Toni Morrisons Roman Menschenkind geistert ein Opfer der Sklaverei noch Jahre später am Ort des Geschehens herum. Auch Uwe Timms älterer Bruder spukt Jahrzehnte nach seinem Tod durch dessen Träume. Nur, dass er zu den Tätern zählt -- anfänglich.

Als Angehöriger der SS-Totenkopf-Division verliert Karl-Heinz auf dem Russland-Feldzug zuerst beide Beine, dann das Leben. Durch das trauernde Nicht-Vegessen-Wollen der Mutter und das zornige Nicht-Vergessen-Können des Vaters wird er für den 1940 geborenen Autor zur mythischen Figur, ist "abwesend und doch anwesend". Als Eltern und Schwester nicht mehr leben, kann er endlich auch darüber schreiben.

Mithilfe der Feldpostbriefe und seiner Erinnerung an die Erinnerungen der Eltern nähert er sich dem fremden Bruder. Dessen Kriegsnotizen "verraten weder den Überzeugungstäter noch aufkeimenden Widerstand", deuten nur an, wie Ganz normale Männer allmählich zu Mordmaschinen werden: "75 m raucht Iwan Zigaretten, ein gefundenes Fressen für mein MG." Timm rechnet mit dem Schlimmsten: Meint "Läusejagd" wirklich nur eine hygienische Maßnahme?!

Eigene Erinnerungen rahmen das Suchbild ein: Nazi-Größen müssen 1945 plötzlich die Straße fegen; der Vater stürzt sich, wie seine gekränkte und kranke Generation, in den "lärmenden Wiederaufbau"; die 74-jährige Mutter reist auf den Spuren des Sohnes in die Ukraine. Timm versucht zu urteilen, ohne zu verdammen, und wittert stets "die Gefahr, glättend zu erzählen".

Ebenso behutsam wie schonungslos legt er menschliche Abgründe offen, bringt deutsche Befindlichkeiten in schlichte Sätze, die nachklingen: "Die Erziehung zur Tapferkeit... führte zu einer zivilen Ängstlichkeit." Oder: "Erst wenn etwas zur Sprache kommt, kann sich auch Widerspruch bilden."

Ein Altachtundsechziger rekapituliert am Beispiel seines Bruders Geschichte im Kleinen und Großen, mehr wehmütig als wütend. Wo er das Schreiben als "Notwehr" begreift, hat es dem Älteren irgendwann die Sprache verschlagen: "Hiermit schließe ich mein Tagebuch, da ich es für unsinnig halte, über so grausame Dinge, wie sie manchmal geschehen, Buch zu führen." --Patrick Fischer
Quelle:




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