In Jon Krakauers In eisigen Höhen, dem ultimativen Buch über die Tragödie von 1996 am Mt. Everest, ist Beck Weathers die Figur, mit der man am meisten mitgelitten hat. In 8000 Metern Höhe zurückgelassen und für tot erklärt, schaffte er es doch noch mit eisernem Willen und viel Glück, sich vom Berg und damit ins Leben zurückzukämpfen. Erfrorene Gliedmaßen und ein entstelltes Gesicht waren der Preis, den er dafür zahlen musste. Wer sich von Beck Weathers' Buch Für tot erklärt eine weitere dramatische Schilderung der Ereignisse mit Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen erhofft, wird -- glücklicherweise -- enttäuscht. Er beginnt zwar mit den Erlebnissen am Mt. Everest, aber seine Schilderungen sind teilweise hektisch und konfus -- so wie er selbst und seine Erinnerungen an die dramatischen Stunden in der Todeszone. Der größere Teil seiner Erzählung ist allerdings sehr klar und erinnert an eine Psychoanalyse oder Familientherapie, da auch seine Verwandten und engen Freunde zu Wort kommen. Wer schon immer wissen wollte, warum ein Mensch auf einen Achttausender steigen möchte, der findet hier eine Antwort. Weathers rollt seine gesamte Lebensgeschichte auf, von der Kindheit bis zu seiner exzessiven Sucht, die höchsten Berge aller Kontinente zu bezwingen. Schonungslos zerlegt er dabei sein Ego. Sein fanatischer Eifer, immer der Beste sein zu müssen, und die ihn plagenden Depressionen machen seine Handlungen nachvollziehbar. Diese "Lebensbeichte" ist ein Porträt mit Tiefgang, eine Bitte um Verständnis für sein Verhalten und nicht zuletzt eine Liebeserklärung an seine Familie. Keiner der Beteiligten der Everestexpedition hat einen so ergreifenden Einblick in seine Seele gestattet wie dieser ruppige, vorlaute Pathologe aus Texas. Literarisch nicht immer auf höchstem Niveau, aber authentisch und bewegend, serviert Beck Weathers die Geschichte eines Hobby-Bergsteigers und Profi-Neurotikers, der unfreiwillig zu einem tragischen Helden wurde. Wer nur ein reißerisches Bergdrama erwartet hat, dessen Horizont wird hier gesprengt. Und viele einfühlsame Leser werden erstmals Interesse an einem "Bergbuch" finden. --Andreas Kerschner Quelle:
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