Krockows Blick auf Churchill - den eigenwilligen Schulversager, den entgegen seines Altersworts "no sports" passionierten Polo-Spieler, den Literatur-Nobelpreisträger und vor allem natürlich den leidenschaftlichen Parlamentarier - ist wohlwollend. Dabei übersieht er nicht die dunklen Seiten des britischen Premiers, der eben nicht nur (mit-)verantwortlich zeichnet für die Befreiung Deutschlands und Europas von der Nazi-Barbarei, sondern auch für die gnadenlose Bombardierung der deutschen Zivilbevölkerung, in deren Folge ganze Städte -- erinnert sei nur an Dresden oder Köln -- ausradiert wurden. Tatsächlich tun sich hier Abgründe auf. Dagegen: "Hätte man beizeiten auf Mahner zur Festigkeit und wenn nötig Krieg gegenüber der Gewaltherrschaft wie Winston Churchill gehört, so wäre es uns erspart geblieben, daß wir heute und in die Zukunft hinein dem Blick zurück in die Abgründe standhalten müssen." Hiergegen werden heute kaum mehr Zweifel gehegt. Die eigentlich originellen Thesen Krockows jedoch kulminieren in dem Satz: "Churchill wäre nicht er selbst geworden ohne Hitler, jedenfalls keine geschichtliche Figur von Bedeutung." Dies ist gleich in mehrfacher Hinsicht zu hinterfragen. Erstens: Wenn Churchill den großen Widerpart gebraucht haben sollte, um "er selbst" oder doch zumindest "eine geschichtliche Figur von Bedeutung" zu werden, so hätte er ihn für den Fall, Hitler und der Nationalsozialismus wären nicht auf der historischen Bühne erschienen, ebensogut in Stalin finden können. Zweitens: So richtig Krockows These wohl tatsächlich ist, die Alternative des 20. Jahrhunderts sei nicht die zwischen Nationalsozialismus und Faschismus auf der einen und Kommunismus auf der anderen Seite, sondern die zwischen freiheitlicher Demokratie und Gewaltherrschaft gewesen -- Churchill eine für den liberalen, demokratischen Rechtsstaat ebenso große Bedeutung zuzumessen wie sie Hitler für das Terrorregime des Nationalsozialismus zweifellos hatte, geht dann wohl doch ein wenig zu weit.--Andreas Vierecke Quelle:
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