Gut 25 Jahre nach Ingeborg Bachmanns Tod ist die Sekundärliteratur zu ihrem schmalen Werk zu einer gigantischen Bibliothek angewachsen. Kaum ein Aspekt ihres Wirkens, der nicht schon Thema literaturwissenschaftlicher Einlassungen geworden wäre. An Lektüre herrscht also kein Mangel -- doch das macht den Zugang zur Dichterin und ihrem oft schwierigen Werk nicht einfacher: Ihre Person ist längst wie eine Ikone im Feuilletonhimmel entrückt und ihr Werk beginnt sich allmählich in den Hymnen ihrer Bewunderer aufzulösen. Vor diesem Hintergrund macht Sigrid Weigels 600 Seiten starke, materialreiche Studie keine schlechte Figur. Ihr Buch ist kein privates Lebensbild, sondern eine intellektuelle Biographie Ingeborg Bachmans. Weigel analysiert, welche Fragestellungen das Bachmannsche Schreiben bestimmt haben: von den frühen Erzählungen bis zu Malina und dem Todesarten-Projekt sichtet sie die Rezeptionsgeschichte und liefert eine detaillierte Motivsuche sowie einen ausführlichen Kommentar. Weitere Quellen für das Werkverständnis sind Briefwechsel zwischen Bachmann und literarischen Persönlichkeiten ihrer Zeit, wie Hannah Ahrendt, Uwe Johnson, Gershom Scholem, Wolfgang Hildesheimer, Hermann Kesten und vielen anderen. Einige davon sind in diesem Buch erstmals veröffentlicht. Darüberhinaus räumt Weigel mit einigen gängigen Klischees auf, wie dem der gefallenen Dichterin, die die Stimme verloren habe oder der noch vor kurzem populären Meinung, nur das Spätwerk zeige die wahre Bachmann. Und sie stellt die Texte in ungewohnte Zusammenhänge: Musik und bildende Kunst nimmt sie als Inspirationsquellen ebenso ernst wie die Diskussionen der Nachkriegszeit um die Dichtung nach Auschwitz und die Schriften Benjamins und Adornos. Im Überangebot an Literatur über Ingeborg Bachmann kann Sigrid Weigel für sich in Anspruch nehmen, daß sie eine umfassende Gesamtschau vorlegt, die ausgetretene Forschungspfade meidet und keine modischen Diskurse simuliert. Viele ihrer Quellen sind bisher unerschlossen gewesen. Herausgekommen ist ein anspruchsvolles Buch für anspruchsvolle Leser. Wer sich eingehend mit der intellektuellen Biographie Ingeborg Bachmanns und dem geistigen Hintergund ihres Werks beschäftigen will, liegt hier richtig. --Dr. Christian Demand Quelle:
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