Der Himmel über dem Flughafen Frankfurt: 1969 begann hier das zweite Leben des Yu Chien Kuan. Aber auch dieser Anfang gestaltete sich nicht leicht. Die neue Heimat, die er nur aus Erzählungen über die Nazizeit kannte, war ihm unheimlich, zudem sprach der Chinese kein Wort Deutsch. Naiv und bestürzend zugleich, schildert Kuan, damals gerade einer eineinhalbjährigen so genannten Schutzhaft im berüchtigten Kairoer Gefängnis entronnen, seine Furcht vor der vermeintlichen Todesspritze durch deutsche Behörden, die sich jedoch lediglich als Impfschutzmaßnahme heraustellte. Zu diesem Zeitpunkt konnte den vom Schicksal Verfolgten jedoch kaum mehr etwas erschüttern. Der 1931 in Kanton geborene Kuan breitet ein ungeheuerliches, von Flucht und Vertreibung geprägtes Leben vor uns aus. Kurz nach seiner Geburt wurde die liberale, an westlichen Wertewelten orientierte Familie aufgrund der japanischen Besetzung nach Peking vertrieben. Kuans Vater, wegen antijapanischer Umtriebe seines Lehramts an der Kantoner Universität enthoben, war untergetaucht, der Mutter oblag fortan als Lehrerin die Versorgung ihrer drei Kinder. Von einem Dach in Shanghai aus erlebt der Sechsjährige 1937 den Einmarsch der Japaner (eine Szene, die wie einiges in Kuans Lebensbericht, an Spielbergs Reich der Sonne erinnert). Ein Leben, das -- die Zeittafeln im Buch zeigen dies -- parallel zur chinesischen Revolution verläuft. Feiert Kuan noch die Befreiung und den Sieg Mao Zedongs, so werden ihm seine freiheitliche Gesinnung und seine Vorlieben für einen westlichen Lebensstil bald zum Verhängnis. In den Revolutionswirren von seiner Frau getrennt, mehrfach verbannt und rehabilitiert, tritt er schließlich allein und mit gefälschten Papieren die abenteuerliche Flucht an, die im Gefängnis von Kairo endet. Mithilfe des Roten Kreuzes gelingt es ihm, eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland zu erlangen, wo er, seiner Sinnenfreuden nicht völlig beraubt, wie einige hübsche erotische Einsprengsel bezeugen, endlich zur Ruhe kommt. Heute lehrt Kuan als promovierter Sinologe an der Hamburger Universität, gilt als anerkanntester Mittler zwischen chinesischem und europäischem Kulturraum und ist Verfasser zahlreicher politischer Kolumnen der chinesischen Presse Hongkongs und Singapurs. --Ravi Unger Quelle:
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