Im Meer der Weltliteratur hätte Herman Melville mit seinem fulminanten Roman Moby Dick oder Der Wal beinahe Schiffbruch erlitten. Als das Buch um den grausamen Rachefeldzug Kapitän Ahabs 1851 erschien, blieb es weitgehend unbeachtet und wurde von amerikanischen Kritikern gar als "übel zusammengeschusterte Mischung aus Abenteuerroman und Tatsachenbericht" verrissen. Damals hätte man sich wohl eher einen Schmöker wie Taipi. Ein Blick auf polynesisches Leben während eines viermonatigen Aufenthalts über Melvilles Kannibalenabenteuer gewünscht. Da half es auch nichts, dass Moby Dick jenseits des Atlantiks viel wohl wollender aufgenommen wurde: Die positiven Rezensionen drangen zu Melville nicht vor. 1891 starb Melville, der längst im Strudel der Kritik untergegangen war, völlig verarmt und nahezu vergessen in New York. Auch wenn Moby Dick eine traurige Wendemarke darstellt in Melvilles Karriere, so ist der Roman heute als eines der größten Epen der amerikanischen Literatur allgemein anerkannt. Dementsprechend groß ist inzwischen die Flut der Übersetzungen: Zwischen 1944 und 1956 erschienen allein vier bedeutende Fassungen auf Deutsch. Matthias Jendis hatte das Glück, sie alle -- neben ausgewählten Versionen in anderen Sprachen -- für seine neue Übertragung zurate ziehen zu können. Und er hatte das Glück, auf den vollständigen und gesicherten Ausgangstext von Moby Dick zurückgreifen zu können, der erst 1988 in Chicago erschien. So hat man hier zu Lande erstmals Gelegenheit zur Lektüre des wuchtigen Romans ohne Verstümmelung. Und da Jendis darauf verzichtet hat, die Klippen und Sandbänke der teils gar holperig wirkenden Sprache Melvilles zu umschiffen, kann man Moby Dick erstmals auch ohne die störenden Glättungen früherer Übersetzer in seiner ganzen kraftvollen Rauheit lesen. Viel Enzyklopädisches ließ Hermann Melville einfließen in Moby Dick, und oftmals wirken seine Einschübe eher als Demonstration seines biblischen, literarischen oder walkundlichen Wissens denn als romaninterne Notwendigkeit. Diesen Fehler hat sich der Herausgeber Daniel Göske nicht zu Schulden kommen lassen: Sein umfangreicher Kommentar nimmt in klugen Hinweisen und bedacht gewählten Zitaten jederzeit angemessen zu Melvilles Text und seinem Umfeld Stellung. So kommt auch etwas Klarheit selbst in die gewaltigen Tiefen (und Untiefen) von Melvilles grandiosem Meisterwerk. --Thomas Köster Quelle:
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