Keine Frage: Ein eventuell früherer Mangel an Literatur über den (politischen) Islam ist in den letzten Jahren zügig behoben worden. Gilles Kepels Die neuen Kreuzzüge hat trotzdem alle Aufmerksamkeit verdient! Der Autor beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der arabisch-islamischen politischen Kultur und dem islamistischen Fundamentalismus. Dass er seine Studien nicht nur vom Schreibtisch aus betreibt und zudem über eine sehr differenzierte Beobachtungsgabe verfügt, hat der Pariser Politologe zuletzt mit Zwischen Kairo und Kabul. Eine Orient-Reise in Zeiten des Dschihad eindrucksvoll bewiesen. In seinem neuen Buch bietet Kepel einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand der Forschung über Formen und Ursachen des militanten Islamismus und wirft einen vorsichtig optimistischen Blick in die Zukunft. Im Gegensatz zu anderen Autoren steht für Kepel nicht die Frage nach der Schuld des Westens für die jüngste, sich im Terror entladende Radikalisierung im Vordergrund, sondern die nach den internen Ursachen in der arabischen Welt selbst. Er knüpft dabei an die von ihm in den neunziger Jahren diagnostizierte Abschwächung des Islamismus an, die nur scheinbar im Widerspruch zu den jüngsten Entwicklungen steht. Nicht zuletzt nämlich die Entradikalisierung der meisten islamischen Gesellschaften sei es gewesen, so Kepel, die die radikalen Fundamentalisten veranlasst habe, ihren Kampf zu infernalisieren, um auf diese Weise resignierte Islamisten für den aktiven Kampf zurückgewinnen. Eine Strategie die zunächst aufzugehen schien. Indes schlägt der entfesselte Dschihadismus unübersehbar auf den Islam selbst zurück. Nicht nur hat der Terror nach Kepels Beobachtung bei der Mehrheit der Muslime nicht die erhoffte Begeisterung entfacht, er hat im Gegenteil die arabische Welt in eine "Ära der Fitna" eintreten lassen, das heißt in eine Zeit innerer Kämpfe und des drohenden Niedergangs des Glaubens. Zu Hoffnungsträgern einer sich erneuernden islamischen Kultur könnten sich nach Kepels Einschätzung die europäischen Muslime entwickeln, die bereit und in der Lage seien, überholte Dogmen zu überwinden. Dies gilt insbesondere für die im traditionellen muslimischen Verständnis untrennbare Einheit von Staat und Religion. Kepels Untersuchung beleuchtet jenseits der gängigen Klischees die Zusammenhänge von Glauben und Gewalt im Islam und eröffnet neue Perspektiven für Strategien der Verständigung. Auch deshalb: Unbedingt lesenswert! -- Andreas Vierecke Quelle:
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