Wenn jemand erklĂ€ren wĂŒrde, alle Bewohner Kretas seien LĂŒgner, wĂ€re das zwar ziemlich dreist, aber ansonsten nicht sonderlich bemerkenswert. Ist es aber ein Kreter selbst, der dies behauptet, entsteht eines jener Paradoxa, die Philosophen so sehr lieben, weil die Gesetze der Logik in Frage gestellt scheinen und man sich stundenlang darĂŒber den Kopf zerbrechen kann. Wer Gefallen findet an solchen Gedankenspielen und kniffligen RĂ€tsel ist mit Martin Cohens Buch wirklich gut bedient und kann sich am bekannten "Gefangenen-Dilemma" die ZĂ€hne ausbeiĂen oder sich in die scheinbar ausweglose Lage des "Friseurs vom Hindukusch" hineinversetzen, der laut strengem Befehl des Herrschers allen Untertanen die Haare zu schneiden hat, wobei sich aber niemand selbst einen Haarschnitt verpassen darf. Wer RĂ€tsel wie dieses Barbierproblem fĂŒr eine Kleinigkeit hĂ€lt, erfĂ€hrt von Cohen, dass selbst ein GroĂdenker wie Bertrand Russell "wochenlang kaum essen und schlafen konnte", weil er an dessen Lösung herumtĂŒftelte. Mit den Lösungen ist das ĂŒberhaupt so eine Sache. Zwar nimmt der Lösungsteil fast die HĂ€lfte des Buches ein, heiĂt aber wohlweislich nicht "Lösungsteil", sondern "Erörterungen". Denn ebenso wie in der Philosophie das Zweifeln und Fragen wichtiger ist als die Antworten, haben auch philosophische RĂ€tsel eher selten eine konkrete Lösung -- sie dienen vielmehr als anschauliche EinfĂŒhrung in ein Problemfeld, eine Fragestellung. Und weil dem so ist, kann man 99 philosophische RĂ€tsel durchaus als eine Art EinfĂŒhrung betrachten, die "die ganze Schatztruhe philosophischen Denkens" vor einem öffnet -- weil neben der Logik noch ganz andere Bereiche der Philosophie wie Ethik, Erkenntnistheorie oder Religion mithilfe der RĂ€tsel erschlossen werden. Auf recht witzige Weise erklĂ€rt Cohen Grundbegriffe der Philosophie, stellt wichtige Denker vor und macht Lust, diese Schatztruhe noch genauer zu inspizieren. Der Friseur vom Hindukusch ĂŒbrigens floh angesichts seines Dilemmas in die Berge und hielt sich dort 20 Jahre lang versteckt. --Christian Stahl Quelle:
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