Eine Entdeckungsreise in eine untergegangene Welt. Besichtigt wird die frühantike Hochkultur der Hethiter, die immer noch Rätsel und Geheimnisse birgt. Das trotz allem überraschend umfangreiche aktuelle Wissen über Geschichte und Kultur dieses indogermanischen Volkes, das im 2. Jahrtausend v.Chr. (ca. 1550-1220) im östlichen Kleinasien (das heutige türkische Staatsgebiet und angrenzende Länder) ein Großreich errichtete, soll mit dem vorliegenden Band einer breiten Leserschaft zugänglich gemacht werden. Ein lohnenswertes Unterfangen, da sich außer einigen archäologischen Titeln (z.B. über die hethitische Hauptstadt Hattusa. Stadt der Götter und Tempel, heute Bogazköy, von Peter Neve) nur fachspezifische Literatur mit den Hethitern befasst. Ausgebreitet wird das Panorama einer hoch entwickelten Gesellschaft, deren umfassende Fähigkeiten und Kenntnisse faszinieren und in manchen Bereichen nahezu modern anmuten: ihre Leistungen hinsichtlich einer reibungslos funktionierenden und alle Lebensbereiche umfassenden Verwaltung (Archive mit zahllosen Keilschrift-Tontafeln), im Rechtswesen (älteste erhaltene Verfassung der Menschheit, Verträge mit anderen Reichen wie z.B. Ägypten), in der Metallverarbeitung und Vorratshaltung (Rezepte), in Handel und Diplomatie, im Kriegshandwerk, in der Architektur (Tempel und Paläste von monumentalen Ausmaßen, Mauerfestungen) und Literatur (auch Geschichtsschreibung), Hofzeremoniell etc. Selbst als Fremde in das spätere Kerngebiet ihres Reiches gekommen, dem sie durch Kriegszüge und friedliche Vertragsabschlüsse weitere Herrschaften hinzufügten, blieben die Hethiter den integrierten Völkern gegenüber weitgehend tolerant und um die Einheit und den Zusammenhalt ihres monarchischen Feudalstaates bemüht. Die entscheidende Initiative und verfassungsrechtlichen Maßnahmen hierzu ergriff der hethitische König Telipinu (um 1500 v. Chr.) mit Einführung und Durchsetzung der dynastischen Erbfolge im Königshaus. Die Darstellung folgt einer chronologischen und einer strukturellen Linie, was eine kursorische Lektüre ermöglicht. Möchte man sich über die reine Ereignisgeschichte informieren, hält man sich an die ungeraden Kapitel; interessiert man sich beispielsweise für Sprache, Alltagsleben oder Verwaltung, wendet man sich den geraden zu. Anmerkungen erklären ausgewählte Begriffe und Gegenstände, Personen oder Ereignisse. Ein Anhang mit Literaturverzeichnis und vergleichender Zeittafel (Hattusa, Ägypten, Babylonien, Assyrien) sowie farbige Fotografien hethitischer Bauwerke und Kunstgegenstände vervollständigen den Band. Das Register ist aufgrund seiner Lückenhaftigkeit nur bedingt hilfreich. Die Stärken des Buches sind die allgemein verständliche und quellennahe Schilderung, die sich auf neueste Forschungsergebnisse stützt und die Ausführungen zu weit über die hethitische Geschichte hinausgehenden, parallel verlaufenden historischen Entwicklungen. Ein Wermutstropfen sind jedoch die bemüht locker-(fahr)lässigen Formulierungen und zum Teil haarsträubenden politischen und kulturgeschichtlichen Vergleiche zu späteren Epochen, wo gerne auch mal aktuell-zeitgeschichtliche Bezüge hergestellt werden. Dies mag zwar in einzelnen Fällen der Plastizität dieses schwer zugänglichen Abschnittes der Weltgeschichte dienen, geht jedoch auf Kosten der Glaubwürdigkeit. --Osseline Kind Quelle:
|