Eine Sache der Ehre ist es, ein gegebenes Versprechen zu halten. Das gilt ganz besonders für ein gegebenes Schutzversprechen. Und eine Sache der Ehre ist es auch, dass man die übliche Gegenleistung für das Schutzversprechen erbringt, auch wenn man um den Schutz selbst gar nicht ersucht hat, er einem vielmehr in vorsorgender Fürsorglichkeit angetragen wurde. So will es das vornehme Gesetz, nach dem der Staat von seinen Untertanen Gehorsam einfordert für den Schutz, den er ihnen umgekehrt zu gewähren sich verpflichtet. Diese Gegenseitigkeit von Schutz und Gehorsam ist auch die oberste Spielregel der oft als ehrenwerter Gesellschaft verharmlosten Mafia, die die Gefahren, vor denen sie ihre Schäflein zu schützen verspricht, selbst erst erschafft und notfalls auch drastisch vor Augen führt, was es bedeutet, auf die wohlmeinend-wehrhafte Fürsorge zu verzichten. Andrea Camilleri nimmt in Eine Sache der Ehre einmal mehr die ungeschriebenen Gesetze seiner italienischen und insbesondere sizilianischen Heimat unter die Lupe indem er zeigt, wo diese Gesetze ihre Wurzeln und ihre Parallelen haben. In der dubiosen Geschichte des Ablasshandels etwa, den kirchliche Amtsträger in der ebenso dunklen wie schillernden Vergangenheit der katholischen Kirche im Rahmen einer sublimen Gegenseitigkeitssystematik zum kirchlichen und zum eigenen Wohle betrieben. Camilleri hat zwei wahre Geschichten unter die gemeinsame Überschrift dieses Bandes gestellt. Zwei im 19. Jahrhundert angesiedelte Erzählungen, vor deren Hintergrund er seine trefflichen Reflexionen über die Menschen und die Gesellschaft (nicht nur) seiner Heimat entfaltet. Und er tut dies auf eine wunderbar sympathische und einnehmende Weise, die Monika Lustig in ihrer Übersetzung dankenswerter Weise erhalten hat. --Andreas Vierecke Quelle:
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