Bereits mit früheren Romanen wie Die Nachtwache oder Schwester des Sturms hat Sean Stewart unter Beweis gestellt, dass Fantasy-Literatur sich durchaus nicht nur auf das Klischeebild der schnöden Wunscherfüllungsfantasie für realitätsflüchtige Leser beschränken muss. Seine Geschichten entwickeln ihre nahezu magische Kraft aus den fantasievollen Schilderungen, der poetischen Sprache, dem sicheren Gefühl des Autors für Spannungsaufbau und den herrlich lebensecht wirkenden Figuren, die sich allen tolkienesken Vergleichen standhaft verweigern. Damit hat Stewart eine vollkommen eigenständige Bilderwelt erschaffen, wie sie in der angloamerikanischen Fantasy einzigartig ist. Dennoch -- oder vielleicht gerade deshalb? -- werden seine Bücher hier zu Lande immer noch als Geheimtipp gehandelt. Das könnte sich mit Hexensturm ändern, denn hier ist dem Autor ein eminent lesbarer Roman gelungen, der ein breiteres Publikum ansprechen will und dennoch nichts vom hohen Anspruch seiner früheren Erzählungen verloren hat. Statt in unbekannten fantastischen Welten ist die Handlung des Romans im Texas der Gegenwart angesiedelt und zeigt sich weniger der Tradition klassischer Fantasy als der des magischen Realismus verbunden. Als Toni Beauchamps Mutter Elena stirbt und sie endlich von ihrem alles bestimmenden Einfluss befreit ist, beschließt die junge Frau ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und eine Familie zu gründen. Elena hat Toni jedoch ein zweifelhaftes Erbe hinterlassen: einen Schrank voller magischer Puppen, die von einem rätselhaften Eigenleben erfüllt zu sein scheinen. Sie können in den Geist eines Menschen eindringen und ihm ihren Willen aufzwingen. Das ganze Leben ihrer Mutter war von diesen "Göttern" bestimmt gewesen und Toni hatte gehofft, dass mit dem Tod der Mutter auch die Macht der magischen Geisterwesen endlich gebrochen sei. Sie muss jedoch bald feststellen, dass sie sich dem letzten Geschenk ihrer Mutter nur schwer entziehen kann. Mit großer sprachlicher Virtousität und unwiderstehlichem Humor erzählt Stewart die Geschichte des Konfliktes zweier Generationen texanischer Frauen. Dabei ist man geneigt, einen erneuten Blick auf das Cover des Buches zu werfen, um sich zu vergewissern, ob der Autor tatsächlich ein Mann ist -- so überzeugend fühlt er sich in das Empfinden und Denken seiner weiblichen Hauptfiguren ein. Hexensturm ist der Roman eines meisterhaften Erzählers, der Vergleiche mit den großen Werken des magischen Realismus wie Isabel Allendes Das Geisterhaus nicht zu scheuen braucht. --Sara Schade Quelle:
|