"Wenn Dichter wie Robert Walser zu den 'führenden Geistern' gehören würden, so gäbe es keinen Krieg. Wenn er nur hunderttausend Leser hätte, wäre die Welt besser". Richtig, Hermann Hesse, aber er hatte sie nie. Zumindest nicht zu Lebzeiten. Von seiner im gleichen Jahr (1917) erschienenen Kleinen Prosa hatte sich, bei einer Auflage von 1500 Exemplaren, nach sechs Jahren gerade Mal die Hälfte verkauft. Der längeren Erzählung Der Spaziergang war ein etwas besseres Los beschieden, da sie in der populären Reihe "Schweizerische Erzähler" veröffentlicht wurde. Der Dichter, der auf seinem Spaziergang der Enge seines Zimmers entflieht, ist natürlich Walser selbst (es ist bekannt, dass er zeitlebens ungeheure Entfernungen zu Fuß zurücklegte). Unschwer erkennen wir auch Biel, seine Schweizer Heimatstadt. Walser erfand gleichsam das reine Erzählen an sich, ohne Gegenstand. Er musste keine Charaktere erfinden, jeder Wald, jedes Zimmer, jeder Passant, erregte seine Aufmerksamkeit und wurde ihm zur Geschichte. Gleichsam wie ein Schweizer Don Quichote gleitet der Spaziergänger durch diesen sonnendurchfluteten Nachmittag in einen Walser-Kosmos voll skurriler Weggestalten und Traumgebilde, bis schließlich in fast metaphysischer Waldesstille der Weg in einem melancholischen Schlussakkord endet. Der Schauspieler Fritz Lichtenhahn (wir kennen ihn als Familienvater Semmeling aus Dieter Wedels Fernseh-Dreiteilern), seit Jahren Walser-Liebhaber, liest mit großer Hingabe, wenngleich auch in etwas zu verschmitztem Märchenonkel-Tonfall; Walsers vordergründig harmlose Texte, ohnehin oft genug als leutselig plaudernde "Hirtenbuebli"-Romantik verkannt, hätten einen etwas pointierteren Gegenton verdient. Dennoch, eine wunderschöne Aufnahme in geschmackvollstem Cover; dazu ein reich bebildertes Booklet mit teils historischen Aufnahmen der Stätten des Spazierganges, sowie einer subtilen Textinterpretation und Biografie des großen Einsamen. Spieldauer: ca. 135 min., 2 CDs --Ravi Unger Quelle:
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