Seit dem Altertum gilt Wahrheit als die ureigene Domäne der Philosophie. Mögen die Wissenschaftler sagen, was der Fall ist, und sich die Dichter und Künstler um das Schöne und Erhabene kümmern -- über die Wahrheit entscheidet immer noch die Philosophie. So lautet zumindest deren eigener Anspruch. Es verwundert daher zunächst, dass Juergen Habermas, der derzeit international wohl renommierteste deutsche Philosoph, sich mit dem Thema der Wahrheit in den letzten Jahrzehnten kaum beschäftigt hatte. In seinem neuen Buch Wahrheit und Rechtfertigung erklärt Habermas nun selbst, wie es zu dieser Vernachlässigung kommen konnte. Nicht die Frage der Wahrheit, sondern die Art und Weise, wie Menschen sich verständigen, machte Habermas zum Fundament seiner kritischen Gesellschaftstheorie. Damit aber habe er -- so räumt er nun selbstkritisch ein -- die darstellende Funktion der Sprache ignoriert und sich einseitig auf die kommunikative Funktion der Sprache konzentriert. Was lehrt Habermas also nun in seinem neuem Buch zum Thema der Wahrheit? Seine zentrale These lautet: Wahrheit und Rechtfertigung müssen unterschieden werden. Selbst was unter idealen Bedingungen von allen für gerechtfertigt gehalten wird, muss nicht wahr sein. (Damit wendet sich Habermas übrigens gegen eine von ihm früher selbst vertretene These.) Wie auch immer man diese Position beurteilen mag: Wer sich für die Sicht der zeitgenössischen Philosophie zum Thema "Wahrheit" interessiert, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Es bietet eine Reihe brillanter Auseinandersetzungen mit konkurrierenden Theorieentwürfen (Richard Rorty, Robert Brandom) und eine etwas länger geratene Einleitung, die wohl als Herzstück des Buches bezeichnet werden muss. Es dürfte daher nicht allzu lange dauern, dann wird auch dieses Buch den Rang eines philosophischen "Klassikers" einnehmen. --Peter Vogt Quelle:
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