Eine der größten Stärken dieses Buchs ist die Fähigkeit der Autorin Melissa Müller, Anne Franks berühmtes Tagebuch in einen größeren historischen und biographischen Kontext zu setzen -- mehr als die Hälfte des Buchs befaßt sich mit den Jahren vor dem Untertauchen der Familie Frank. Gleichermaßen wichtig ist ihre Entdeckung der Existenz von fünf Blättern, die Otto Frank kurz vor seinem Tod dem Originalmanuskript seiner Tochter entnommen und dem internationalen Direktor des Anne Frank Center in New York, Cor Sujik, anvertraut hatte. Sujik zeigte Müller diese Seiten, die in der Biographie zutreffend feststellt, daß sie "unser Verständnis für die Tagebuchautorin verstärken". Bis jetzt hat der Leser die acht Menschen, die von der Welt abgeschnitten im geheimen Anbau lebten, nur durch Annes Augen gesehen. Müller enthüllt ihre richtigen Namen (sie wurden ursprünglich für die Tagebuchveröffentlichung geändert) und korrigiert, wo nötig, taktvoll die verzerrte Wahrnehmung eines Teenagers. Sie erinnert den Leser immer wieder daran, daß die klaustrophobische Enge und die materiellen Entbehrungen Annes schonungslose Kommentare gelegentlich anfachten -- zum Beispiel über den älteren Zahnarzt, mit dem sie gezwungen war, ein Zimmer zu teilen. Überzeugend identifiziert Müller auch den holländischen Informanten, der die Bewohner des geheimen Anbaus an die Gestapo verriet. Mit Entsetzen erfüllt Müllers bittere Zusammenfassung des Martyriums in Auschwitz und Bergen-Belsen, obwohl die Berichte von Überlebenden, nach denen Anne, ihre Mutter und Ihre ältere Schwester "ein unzertrennliches Trio" bildeten, das in seinem heftigen Kampf ums Überleben alle frühere Streitigkeiten vergaß, ein wenig Trost spenden. Es war ihnen nicht gelungen, und Müller kehrt diese Tragödie nicht unter den Teppich. Aber sie erinnert uns daran, daß "am Ende der Naziterror Annes Stimme nicht zum Schweigen bringen konnte -- sie ertönt noch immer für uns alle". Quelle:
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