"Im wunderschönen Monat Mai, kroch Richard Wagner aus dem Ei. Es wünschten viele, die ihn lieben, er wäre lieber dringeblieben" -- beinahe prophetisch wirkende Zeilen, die Richard Wagner sich 1855 selbst zum Geburtstag widmete. Immer noch ist die Person Wagners hochproblematisch, indes die Rezeption seiner Werke sich -- ausgerechnet in ihrem Ursprungsland -- beinahe ins kultisch Absurde verkehrte. Man denke nur an die jährlichen Wallfahrtsströme tausender wohlbetuchter Bundesbürger zur Bayreuther Weihestätte, während in Israel erst jüngst die Absetzung eines Wagner-Stückes unter Daniel Barenboim erzwungen wurde, da unzähligen Menschen dort die Erinnerung an diese Klangwelten -- mehr als verständlich -- völlig unerträglich ist. Wer war dieser so schöpferische wie dämonische Geist, der im Donnerhall der Völkerschlacht zu Leipzig 1813 die Weltenbühne betrat, als Erwachsener mit Samtbarett und Umhang pompös wie ein Tribun Hof hielt, erfüllt vom Glauben an seine welterlösende Mission? Joachim Köhler, der das faustisch-mephistophelische Wagnerwesen seit über 30 Jahren forschend umkreist, findet entscheidende Weichenstellungen in der Kindheit. Diese mit hochspannenden Theorien aufwartenden Anfangskapitel beleuchten das Verhältnis Wagners zur angebeteten, sich ihm beständig entziehenden Mutter, dem verhassten Stiefvater Geyer, einem Maler und Stückeschreiber der seine Ziehkinder in selbstverfassten minderen Theaterstücken verheizte, sowie der geliebten Schwester Rosalie, im Tannhäuser als keusche Elisabeth verewigt. Wahnhafte kindliche Angstvorstellungen, die Wagner ein Leben lang verfolgten, wie er Cosima später beichtete, verwandelten in seinen Fantasiewelten dieses familiäre Stammpersonal schon früh zu den Archetypen des Dämonischen und der Himmlischen Liebe, die seine Musikdramen bevölkern sollten und in denen Wagner -- der Menschenverächter und glühende Antisemit -- seine Vision von einer neuen Menschheit auslebte. Mit dieser mächtigen Biografie hat Köhler die schwere Granitplatte noch einmal gelüftet, unter der Cosima ihren "letzten Titanen" zusammen mit der Wahrheit hatte begraben lassen, bevor sie sich anschickte, den Mythos der Familie Wagner wie einen religiösen Orden zu begründen, dunkel und unheilvoll hineinwirkend bis in unsere Zeit. --Ravi Unger Quelle:
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