Sind Sie Benn-Kenner? Nicht? Dann Vorsicht: Die Lektüre dieses Buches setzt viel voraus. Als erster Zugang zum Autor Benn taugt das Raddatzsche Werk nicht. Da sind Sie mit Benns Gedichten in der Fassung der Erstdrucke (preiswert als Fischer-Taschenbuch) besser bedient. Tipp: Nicht bei den frühen Leichen- und Krebsbarackenversen anfangen, sondern weiter hinten. Wenn Sie dann immer noch nicht verzaubert sind: Lassen Sie Benn einfach weg aus Ihrem Leben. Liebhaber des Dichters werden zögern: soll man oder soll man nicht? Denn: Raddatz hat viele Verächter. Ein Getriebener, ohne Frage. Wörterberge hat er ein Leben lang verschlungen, und die Eruptionen eigener Sätze haben zu Büchern geführt, die oft verrissen wurden. Jetzt also ein Benn, den Raddatz sich selbst zum 70. Geburtstag geschenkt hat. Bringt er etwas, was noch nicht gesagt wäre? Kaum. Aber: Wie wäre das auch möglich, seit Werner Rübe 1993 -- im Benn-Ton schreibend (was gelegentlich ziemlich nervt) -- noch einmal alles zusammengefasst hat, was Briefwechsel, Zeitzeugen und Archive hergeben (Provoziertes Leben). Der spezielle Reiz bei Raddatz liegt darin, dass er nicht nur grob chronologisch vorgeht, sondern die großen Benn-Komplexe rhapsodisch zu Kapiteln rafft: Pfarrhaus, Frauen, Nietzsche, Faschismus, Wehrmacht, Oelze, Berlin. Schöne Bilder findet er dabei für dieses so bemerkenswerte wie merkwürdige Leben: Benn sei, heißt es etwa über den Dichter im Berlin der 20er-Jahre, "ein Flaneur der Düsternis, ein Jäger der Dämmerung". Raddatz formuliert griffig, dabei durchaus präzise. Vor allem vermag dieser Groß-Essay Appetit zu machen auf seinen Helden: Mehr kann eine Dichterbiografie nicht leisten. --Michael Winteroll Quelle:
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