Mythos Byzanz -- seiner Faszination zu erliegen ist einfach, schwer dagegen ist es, wirklichen Zugang zu Geschichte, Kultur und Sprache des byzantinischen Reiches zu bekommen. Das moderne Byzanz-Bild ist daher immer noch geprägt von den Vorstellungen und Vorurteilen eines Edward Gibbon (Verfall und Untergang des Römischen Reiches) oder inspiriert von monumentalen Geschichtsdarstellungen à la Felix Dahns Ein Kampf um Rom. Entstanden aus der Übersetzung und wissenschaftlichen Untersuchung byzantinischer Texte im Rahmen der Gräzistik, bemüht sich die moderne Byzantinistik seit ihrer Begründung durch Karl Krumbacher im 19. Jahrhundert um eine differenzierte und ernst zu nehmende Darstellung jenes Reiches, das einzig in direkter Nachfolge sowie als Bewahrer und Transformator des römischen Imperiums wie der griechischen Antike stand und als Bollwerk des Westens gegen Araber, Turkvölker oder Osmanen diente. Bücher wie Byzanz. Aufstieg und Fall eines Weltreichs von John J. Norwich sind diesen Bemühungen nicht förderlich. Norwich legt hier in einem Band die Essenz seiner ursprünglich dreibändigen Geschichte von Byzanz vor, beginnend mit der konstantinischen Dynastie und folgend von der klassischen Aufteilung in früh-, mittel- und spätbyzantinische Zeit. Keine wichtige Station in der byzantinischen Geschichte lässt Norwich aus. Dabei konzentriert er sich auf die reine Ereignisgeschichte und die einzelnen Herrscherpersönlichkeiten, die er chronologisch abarbeitet. In der Hauptsache aber widmet er sich mit Begeisterung der detaillierten Schilderung zahlreicher Schlachten. Doch durch die fehlenden kulturgeschichtlichen Aspekte, die zum Teil missverständliche Darstellung religiöser Problematiken und die oberflächliche Fokussierung auf Kaiserbiografien ganz im Stile einer Mischung aus Sueton und Sammlungen des 19. Jahrhunderts sowie auf die Militärgeschichte, angereichert durch eine Fülle von teils spekulativen Anekdoten, Tratsch- und Klatschgeschichten von Mord- und Totschlag, Sex, Inzest und Luxus verfehlt der Band das anvisierte Ziel seines Autors -- nämlich dem Leser einen Zugang zu und ein wirkliches Bild von Byzanz zu vermitteln. Entsprechend seinem deutschen Pendant Ekkehard Eickhoff hat sich der aus dem diplomatischen Dienst ausgeschiedene Laienhistoriker mit stark militärhistorischem Einschlag der Näherbringung des Phänomens byzantinisches Kaiserreich verschrieben. Nach diesen harschen Worten der Kritik mag eine Leseempfehlung überraschen, doch muss man Norwich zugute halten, dass er keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder ein wissenschaftliches Elaborat erhebt. Historisch interessierte Leser mit romancierhaften Neigungen à la Geliebte Theophanu. Deutsche Kaiserin aus Byzanz von Eberhard Horst oder Das griechische Feuer von Luigi Malerbas sind hier richtig -- Byzantinisten und Mediävisten sollten das Buch tunlichst meiden. Lobenswert und hilfreich sind die chronologischen Verzeichnisse der Herrscher (römische und byzantinische Herrscher, Kalifen und Sultane, Päpste), die Stammtafeln der byzantinischen Herrscherfamilien sowie die profunde Quellen- und Literaturbibliografie, die auch allen ernsthaft Interessierten die weitere Informationssuche erleichtert. --Osseline Kind Quelle:
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