Ein an allen vier Seiten verglastes Gebäude hat seine Reize wie seine Tücken. Das Außen und Innen scheint nahtlos ineinander überzugehen, Licht und Umgebung fließen ungehindert in die Wohnräume. Diese Offenheit kann aber auch die Privatsphäre der Bewohner stören und so musste sich der weltberühmte Architekt Ludwig Mies van der Rohe Anfang der 1950er-Jahre nach der Fertigstellung des transparenten Farnsworth House in Plano, Illinois, einen Rechtsstreit mit seiner unzufriedenen Bauherrin gefallen lassen. Der Stuttgarter Architekt Werner Sobek hat dieses Risiko geschickt vermieden. Er war beim Bau eines Wohnhauses aus Glas und Stahl in der schwäbischen Metropole sein eigener Auftraggeber. Das in Hanglage gelegene, absolut einsehbare Architekturexperiment hat nicht nur durch seine Transparenz, sondern auch durch ein höchst innovatives Energiekonzept eine überregionale, ja internationale Anerkennung erfahren. Werner Sobeks Stuttgarter Glashaus ist eines von 25 zeitgenössischen Bauwerken, die das zur gleichnamigen Ausstellung erschienene Katalogbuch Neue Deutsche Architektur – Eine Reflexive Moderne präsentiert. Alle Projekte werden mit brillanten Architekturfotografien, Zeichnungen und Grundrissen vorgestellt und in kurzen Begleittexten erörtert. Ob das Nieuwe Luxor Theater im niederländischien Rotterdam des Münsteraner Architekturbüros Bolles + Wilson, in dessen Baukörper sich das Publikum von der Straße aus geradezu hineinschraubt, das geschwungene Bürohaus Berliner Bogen der Architekten Bothe Richter Teherani in Hamburg oder der in seiner Schlichtheit überzeugende Engelhardt Hof des Architektenpaares Petra und Paul Kahlfeldt in Berlin: Alle vorgestellten Bauten zeigen, dass die über die nationalen Grenzen hinaus wenig anerkannte deutsche Architektur besser ist, als ihr Ruf. In verschiedenen Essays schildern namhafte Autoren die deutsche Architekturentwicklung seit 1945 sowie deren Diskurs im gesellschaftlichen wie politischen Kontext. Die Porträts zehn namhafter Architekturbüros zeigen die Qualität deutscher Nachkriegsbaukunst und in drei einleitenden Aufsätzen beschreiben der Herausgeber Ulrich Schwarz und der Schweizer Architekt Ernst Hubeli die Grundzüge einer aufgeklärten Moderne in der zeitgenössischen deutschen Architektur. Eine lesens- und sehenswerte Zustandsbestimmung deutscher Baukunst am Anfang des 21. Jahrhunderts. --Stefan Meyer Quelle:
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