Der Schriftsteller Elias Canetti (1905-1994) hat einmal gesagt, dass "der Weg der Wirklichkeit über die Bilder" gehe, und als er sein Bonmot aussprach, da war es im Hinblick auf die Fotografie im ersten Wortsinn schon überholt und falsch. Denn der Realitätsanspruch früher Lichtbildner des 19. Jahrhunderts war durch die Manipulationen etwa von Pressefotos in der Sowjetunion (ein in Ungnade gefallener Trotzki wurde unter der Rednertribüne Lenins einfach wegretuschiert) längst ad absurdum geführt. Umso wahrer aber war Canettis Ausspruch in einem zweiten Wortsinn. Denn die Wirklichkeit (hier: der Politik) war tatsächlich über die Bilder gegangen, um sie in ihrem Sinn zu missbrauchen. Inzwischen ist das Foto längst als Kunstwerk anerkannt und die Fotografie ins Zeitalter ihrer digitalen Manipulierbarkeit eingetreten. Auch wenn die hierfür immer wieder zitierten Aufnahmen Andreas Gurskys in Wirklich wahr! Realitätsversprechen von Fotografien leider fehlen, belegt der Fotoband diese These eindringlich etwa an den Bildern Jörg Sasses. Wie stark Fotografie heute Wirklichkeit inszeniert, kann man an den Arbeiten Jeff Walls, Cindy Shermans, Jukka Males, Izma Kaoru oder Oliver Bobergs bewundern, der durch den Nachbau trister Großstadtarchitekturen im Kleinmodell auf seinen ausschnitthaften Fotos eine ganz eigene Art irritierender Verfremdung schafft. Dass aber auch die Wirklichkeit immer mehr verkünstelt, zeigen Lichtbildner wie Martin Parr oder Jonathan de Villiers mit seinen Aufnahmen von "artifiziellem Wintersport" in riesigen Kältehallen. Dadurch, dass Wirklich wahr! die Arbeiten von Fotokünstlern neben Urlaubsschnappschüssen oder Werbeaufnahmen platziert, stellt der Band nicht zuletzt die Frage auch danach, was überhaupt "wahre Wirklichkeit" sein soll. Nicht zuletzt dieses Zusammenspiel macht das reich bebilderte Buch, das auch Arbeiten etwa von Thomas Ruff, Regina Schmecken, Tom Wood, Joachim Brohm, Nan Goldin oder Boris Mikhailov enthält, zu einem echten, fast schon philosophischen Vergnügen. Zumindest dies ist wirklich wahr. --Thomas Köster Quelle:
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