„Ich misstraue nicht der Realität, von der ich ja so gut wie nichts weiß, sondern dem Bild von Realität, das uns unsere Sinne vermitteln und das unvollkommen ist, beschränkt“, hat Gerhard Richter einmal gesagt. Fast scheint es, als würde sein ganzes Werk unter diesem Motto stehen: präsentiert es doch Gemälde, die uns vor Augen führen, wie wenig wir wissen von der Wirklichkeit. So ist es auch beim Titelbild des vorliegenden Bands -- dem Porträt des Selbstporträts einer Familie, das der grobe Strich des Künstlers gekonnt verfremdet. Haben wir wirklich noch die glückliche Familie vor uns, wie uns der eigentliche Schnappschuss sicher suggeriert hätte, oder ist doch alles nur gruselige Fassade? In 165 Abbildungen auf 256 Seiten illustriert der Band Portraits zu einer Ausstellung auf dem Museumsberg Flensburg die große Bedeutung, die das Bild des Menschen im Oeuvre Gerhard Richters einnimmt: angefangen von frühen Meisterwerken wie Ema (Akt auf einer Treppe) oder Onkel Rudi hin zu den farbigen Porträts wie Betty (1988) oder Lesende (1994), die Richters Interesse für die Kunstgeschichte, namentlich für das Werk Vermeers, ebenso wie für das Stoffliche, Materielle verraten: hier geraten hin und wieder die Gesichter ganz in den Hinter- und die Muster der Kleidung scharf in den Vordergrund: ein Aspekt, der sich bei Richter-Schülern wie Karin Kneffel ebenfalls beobachten lässt. Unter den vorgestellten Bildern finden sich auch einige, die erst im Laufe der Recherche zu der Ausstellung wieder aus Privatsammlungen aufgetaucht sind. So sind nicht nur die bisher umfangreich publizierte Ikonen zu sehen, sondern auch unbekannte Gemälde zu entdecken. Besonders überraschend sind dabei die verschwommenen Selbstporträts Richters, die in New York und Tokio hängen und die die skeptische Weltsicht des Künstlers besonders anschaulich machen. Ansonsten demonstriert der Band die faszinierende Bandbreite der Motive, die von komischen bis zu eminent politischen Werken reicht. Schon alleine deshalb ist Portraits ein überaus wichtiges Buch. -- Thomas Köster Quelle:
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