Der bayerische Ministerpräsidenten Stoiber war für ein Interview nicht zu haben. Ihm war das Thema zu heiß: Patriotismus. Henrik Müller, geschäftsführender Redakteur des manager magazins indes ließ sich nicht beirren -- und hat ein provokatives Buch zum deutschen Tabuthema Nummer eins vorgelegt. Wir Deutschen, schreibt Müller, „haben keine stabile positive kollektive Identität. Und das ist ein Problem, nicht zuletzt ein ökonomisches.“ Weil nämlich „Patriotismus im globalen Wettbewerb ein entscheidender Erfolgsfaktor ist“. Müller ist ein Meister der Zuspitzung, aber alles andere als ein rechter Populist. Er serviert keine aufgewärmte Deutschtümelei, sondern plädiert für einen „aufgeklärten Patriotismus“, der vorbehaltlos die deutsche Täterschaft anerkennt und sich der Verantwortung für Weltkrieg und Holocaust stellt. Indem der Autor nationalen Ballast abwirft, kann er den Patriotismusbegriff rational und mit aufklärerischem Anspruch reformulieren. So verstanden, rührt Patriotismus an die zentrale Frage, was moderne Gesellschaften im Innersten zusammenhält: „Wirtschaft, Staat und Demokratie brauchen einen emotionalen Überbau, der die Einhaltung des Gesellschaftsvertrages überhaupt erst ermöglicht. Deshalb ist ein aufgeklärter Patriotismus, der auf einer kollektiven Identität in einer offenen Gesellschaft basiert, eine Voraussetzung für das Funktionieren moderner Gesellschaften mit all ihren Interdependenzen.“ Der Umkehrschluss: Wenn es an einer solch verbindlichen und geteilten Identität mangelt, dann schwindet die Fähigkeit einer Gesellschaft zur Lösung anstehender Probleme. Dann wird Wandel zu einer Belastungsprobe. Wie in Zeiten der Globalisierung. Ist das vielleicht der wahre Grund für die deutsche Misere, für die offensichtliche Unfähigkeit des Landes, mit den Verwerfungen der Globalisierung umzugehen? Das ist Müllers These, die er unaufgeregt und mit großem Sachverstand ausbuchstabiert. Und er hat auch eine Lösung: Die besteht nicht in patriotischer Sprücheklopferei, sondern in einer gezielten Investition in jene Einrichtungen, die zuallererst Sinn, Werte und Normen vermitteln: Familien und Bildungseinrichtungen. Und was ist mit der gebrochenen deutschen Identität, dem „außerordentlich verdrehten Selbstgefühl“ der Deutschen? Henrik Müller hat auch hier eine provokative These parat: Weil die Globalisierung zu einer Aufwertung der Regionen geführt hat, weil hier das wirtschaftliche Potential ruht und weil hier die Identitätsbildung lebendig ist, deshalb lautet seine Forderung: „Die Bundesrepublik sollte sich regionalisieren.“ Ein konsequenter Wettbewerbsföderalismus wäre „die passende Staatsform für die Ära der Globalisierung“, schreibt Müller -- und weil er die ironische Zuspitzung liebt, bedient er sich bei einer alten Parole der Linksautonomen: „Zerschlagt die BRD!“ -- Winfried Kretschmer Quelle:
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