Die Protagonistin in Peter Handkes neuem Roman Der Bildverlust hat viele Feinde. Allerdings wirken die meisten aus der Ferne und sind deshalb ungefĂ€hrlich -- bis auf einen, und der ist der allerschlimmste. Dabei hatte alles mit Liebe begonnen, damals, als sie sich "auf einer Lichtung tief im Innern" des Waldes "auf einem schwarzalten Bohlenweg" zum ersten Mal trafen. FĂŒr ihn war es so etwas, wie die Liebe auf den ersten Blick. "Sie mĂŒssen mich lieben. Sie werden mich lieben", sagte der Mann. "Ohne mich sind Sie verloren". Damals, auf der Waldlichtung, hatte die Bankiersfrau keine Angst. Denn wĂ€hrend der Begegnung wurde sie heimgesucht vom Bild "eines leeren Gastgartens unter Kastanien im Hochland von Triest". Ăberhaupt ist sie "durchwirkt" von Bildern wie ein Text: beruhigenden Bildern, die plötzlich kommen wie bei Proust; Bilder mit denen ihr "nichts geschehen" kann. Und Schutz kann die Bankiersfrau gut gebrauchen: Immerhin macht sie sich auf die abenteuerliche Reise zu einem abgelegenen "Manchodorf" in der Sierra de Gredos, um einem "Autor" ihr Leben -- und ihre Lieben -- zu erzĂ€hlen. In Nuevo Bazar, Polvereda, Pedrada oder Candeleda trifft sie auf allerlei sonderbare Gestalten, auf Maultrommelspieler und "Stadtrandidioten", auf die SĂ€nfte von Karl V. -- und manchmal auf sich selbst: "mich erzĂ€hltwerden spĂŒren", selbst zum Bild zu werden, ist dabei das oberste, tröstliche Ziel. GefĂ€hrlich wird es immer dann, wenn der Verlust der Bilder der Protagonistin den Boden unter den FĂŒĂen zu entziehen droht. Der Bildverlust ist eine sprachlich weitgehend virtuose, bisweilen anstrengende Gratwanderung zwischen Literatur und Reflexion, MĂ€rchen und abstraktem Dichten, Traum und Wirklichkeit: ein schwebender Parforceritt durch die RĂ€ume und Zeiten im Niemandsland der Literatur. Ăber lange Strecken ist dieses artistisch verspiegelte Changieren Handkes genauso aufregend zu verfolgen wie die Reise der Bankiersfrau ĂŒber die verschneite, fast 200 Kilometer lange Gipfelflur in der Sierra de Gredos. Nur hin und wieder hĂ€tte man sich die eine oder andere Straffung des Geschehens sehr gewĂŒnscht. Und sicher wird es auch viele Leser und Kritiker geben, die sich nicht zurechtfinden (wollen) in Handkes hoch artifizieller, von Neologismen gespickter Welt. Wer aber Mein Jahr in der Niemandsbucht mit Gewinn gelesen hat, der wird von der symbolgewaltigen Metaphorik des Bildverlusts begeistert sein. --Thomas Köster Quelle:
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