Kennen Sie Michael Thürmann, den Moderator von "Bingo!-Die Umweltlotterie" auf N3? Das ist der, der jedem Anrufer in der Inkubationszeit eines Wimpernschlags den passenden Autobahnzubringer und jedes noch so dürftige Rinnsal zuordnen kann. In erster Linie ist er natürlich ein Routensucher des Glücks in der märchenhaften 'Bingo-Welt', in der alles irgendwie mit 'Glück' anfängt: Da gibt es 'Glückszahlen', das 'Glücksrad', den 'Glücksschrank', 'Glücksturm' und 'Glückskäfer', 'glückliche' Gewinner und nicht weniger 'glückliche' Verlierer, weil sie das 'Glück' hatten, überhaupt durchgekommen zu sein. Das allgemeine 'Glück' komplett macht aber erst Michael Thürmann, unser dicker 'Glücksgott' von N3. Ein 'Glücksfall' für das deutsche Fernsehen oder einfach nur 'trashiger' Wiedergänger dessen Geschichte? Joan Kristin Bleicher attestiert dem Trash-Fernsehen in ihrer kulturtheoretischen Untersuchung von "Bingo!" im Rahmen der Tagungsdokumentation TV-Trash. The TV-Show I Love to Hate die Eigenschaft, Reste der Programmgeschichte wiederaufzubereiten und in neuen Kombinationen zusammenzufügen. Ein Gedanke, der auch in Lorenz Engells Artikel "Über den Abfall" auftaucht: Das Fernsehen sei "koprophag", 'kotessend', geworden, es verzehre und verwerte systematisch seinen eigenen Abfall. So erscheint das "Bingo!"-Universum des Glücks und der Harmonie mit seinen funktionierenden Sozialgemeinschaften und seiner regionalen Identitätsbindung sowie seiner Funktionsteilung Spielleiter/Assistentin und der Vielzahl direkter Appelle und Handlungsanweisungen ans Publikum -- "Sie sind aus Wolfsburg. Applaus für Wolfsburg" -- nicht nur als Recycling konservativer Ideologieversatzstücke der 60er-Jahre, sondern auch als eines deren Unterhaltungskonzepte. Den Texten des vorliegenden TV-Trash-Samplers gelingt es fast durchweg, dem alltäglichen stupiden Fernsehkonsum einen neuen Fokus zu geben. Oder wer hat allen Ernstes die nächtliche 0190-Telefonsex-Werbung schon als Vorboten eines Medientransfers gesehen -- weg von Stereotypen der Pornografie und ihrer Unterscheidung von Akteur und Voyeur, hin zu prostitutionsähnlichen Formen direkter Interaktion? Das eine oder andere Symptom fortschreitender akademischer Meningitis nimmt man da gerne in Kauf. Wer will, kann natürlich auch weiterhin das machen, was er jeden Sonntagnachmittag macht, nämlich zurückwinken, wenn unser Sex-, pardon, Glücksgott Michael Thürmann sagt: "Jetzt winken wir mal nach Hause. Hallo Wendland. Jetzt kommt einer von euch und holt sich vielleicht gleich Bargeld ab." --Mark Stöhr Quelle:
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