Über das Hollywood-"Wunderkind" Steven Spielberg ist bereits vieles gesagt und noch mehr geschrieben worden. Oftmals begleitet von der unterschwelligen Kritik, dessen oberflächliches Mainstream-Kino sei der tiefschürfenden Betrachtung nicht wert. Doch der Vorwurf des seelenlosen und berechnenden Filmemachers ist ebenso überholt wie die Einordnung als Wunderkind, das nicht erwachsen werden will. Seeßlen setzt sich in seiner Analyse des Spielberg'schen Gesamtwerks das Ziel, die Filme in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Seeßlen spürt den Brüchen der amerikanischen Gesellschaft in Spielbergs Filmen nach und zeigt das Echo der amerikanischen Geschichte in jedem Einzelnen auf. Akribisch untersucht er, wie die Filme so universal wirksam werden konnten, wie Spielberg quasi Hollywood neu erfunden hat. Wie funktionieren Spielbergs Filme in unserer Wirklichkeit? Wie funktioniert unsere Wirklichkeit in ihnen -- oder auch nicht. Spielberg hat eher Kino- als Filmgeschichte geschrieben: Das Kinoerlebnis steht im Zentrum seines Werks. Seeßlen versucht sich daher an der Übersetzung des Spielberg'schen Bilderdenkens in Wörterdenken -- ein Versuch, der, wie der Autor selbst zu bedenken gibt, in einem Wortmedium nur in gewissem Maße gelingen kann. Seeßlen erschließt Spielbergs Werk nicht chronologisch oder über den Genreansatz, sondern geht kapitelweise in Themenblöcken vor: Familie, Träume und Erinnern, Heldenreisen, Zeichen und Wunder, Versöhung und Erlösung. Manchmal bleibt die Einteilung der Filme in dieses Schema strittig -- warum diese Aufsplitterung der Bereiche Kindheit und Krieg? -- doch die detaillierten Einzelanalysen lassen kaum zu wünschen übrig. Untergeordnet sind diesem größeren Rahmen die Mythologica, die filmübergreifende Themen, Bildmotive und Symbolik behandeln und diese in den zeitpolitischen Kontext einordnen. Neben der Bedeutung und Rolle des Vaters sowie der Reise des Kindes in einen Zustand des Erwachsenseins sind hier vor allem das Verdängen der jüdischen Identität sowie die Opfer- und Erlösungsmythologie von großem Interesse. Seeßlen prägt den Begriff des "Spielbergianismus": Der einfache Mensch muss sich seinen Ängsten stellen, die (schmerzhafte) Erkenntnis treffen, anders zu sein. Seeßlen beschreibt Spielbergs Filme als cineastisch formulierte Bitte um Liebe und Schutz. Spielbergs Helden werden geboren durch die Herausforderung, die sie nicht gesucht haben. Doch stellt sich die Frage, wenn es um das Denken in Bildern geht, wo die Analyse der Bildsprache bleibt? Erst im vorletzten Kapitel "Die Techniken des Spielbergianismus" widmet sich Seeßlen ausführlich dem "Blick eines kindlich spielenden Gottes", wie er Spielbergs Methodik beschreibt. Der Blick, nicht das Wort führt die Kamera und die Montage, der Louma-Kran als Darstellung der spielbergianischen Bewegung. Abschließend beschäftigt sich Seeßlen am Beispiel von A.I. - Künstliche Intelligenz mit der Zukunft der Wahrnehmung. Aufgrund der Aktualität des Films beim Erscheinen des Buches ist dies zwar nachvollziehbar, doch wäre gerade hier die Einordnung des Films in das Gesamtwerk äußerst spannend gewesen. Auch lässt sich der Eindruck nicht ganz verwehren, dass die letzten beiden Kapitel Auffangbecken für noch unverwertete Themen darstellen: So werden noch schnell die Grundregeln der Spielberg'schen Blockbuster abgehandelt, kurz die Entwicklung von Amblin Entertainment zu Dreamworks SKG geschildert sowie eine Einordnung der Spielberg-Factory -- hier konzentriert Seeßlen sich vorrangig auf Robert Zemeckis und Joe Dante -- gegeben. Manchmal wäre weniger mehr gewesen. Fazit: Für Spielberg-Kenner ein äußerst detaillierter Baustein im Gesamtwerk, für Nicht-Spielbergianer die Chance, sich von einem ihresgleichen belehren zu lassen. --Birgit Schwenger Quelle:
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