Der böse Wolf war ein Rockstar. Mit cooler Sonnenbrille und Mikrofon kommt er zu den sieben Geißlein, um sie mit kreideweicher Stimme zu betören. Wovon die Geschichte der Gebrüder Grimm eigentlich handelt, weiß fast jeder. Wie Judith Drews und Hans Baltzer das Märchen allerdings illustrieren (und interpretieren), ist überraschend neu und überaus modern. Wer das Cover von Die illustrierten Märchen der Gebrüder Grimm mit seiner ornamental verrankten und in Linien verschnörkelten Ästhetik betrachtet, der könnte meinen, dahinter verberge sich ein Buch, dass den Illustrationsstil der Jahrhundertwende neu beleben wolle. Wer aber hineinblickt, wird eines Besseren belehrt. Immerhin hat der Verlag der Ausgabe seine Wurzeln in der Techno-Szene der 1990er-Jahre, und diesen Hang zur Jugendkultur, zu Mangas, zur Airbrush-Kunst und Independent-Kultur merkt man der Auswahl von Künstlern aus Brasilien, Norwegen, Deutschland, England oder Polen deutlich an. Scheeweißchen und Rosenrot oder Hänsel und Gretel schauen den Betrachter mit Augen wie aus japanischen Comic-Heftchen an, Gevatter Tod trägt einen Trainingsanzug, den statt drei Streifen ein langgezogener Knochen ziert. Ob (und wie) dies auf ihre Kinder wirkt, sollten Eltern zwischen 25 und 40 Jahren selbst ausprobieren. Ihnen, die sowohl mit Märchen als auch mit dieser Jugendkultur aufgewachsen sind, wird der Band auf jeden Fall gefallen. --Stefan Kellerer Quelle:
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